Die Samenhändlerin (German Edition)
als Samenhändlerin einfach mehr, als wenn man täglich nur Kühe melken und Käse machen würde. Jeden Tag triffst du neue Leute, hörst Interessantes, kommst in Gegenden, die ganz anders aussehen als unsere Schwäbische Alb.« Bei den letzten Worten hatte Käthes Stimme wieder einen sehnsüchtigen Ton angenommen.
»Und da ist noch etwas«, fügte Emma hinzu. »Eine Frau, die ihr eigenes Geld verdient, kann sich aussuchen, wen sie heiratet. Sie muss nicht den Erstbesten nehmen, um versorgt zu sein.«
Aber was ist Schlechtes daran, versorgt zu sein?, wollte Hannah fragen. Stattdessen sagte sie: »Wie kommt es dann, dass manche Frauen – zum Beispiel Seraphine – nicht auf die Reise gehen?«
»Nun, man muss schon das Zeug dazu haben«, sagte Emma mit einer Spur von Hochmut. »Wer auf die Reise geht, muss aus einem besonderen Holz geschnitzt sein – ganz gleich, ob Mann oder Frau. Für Tagträumereien ist da weiß Gott kein Platz!«
Hannah nickte. Seraphine, die Tagträumerin. Diesen Eindruck hatte das Mädchen auf sie auch gemacht.
»Ich muss jetzt gehen!« Sie hob ihr Tuch vom Stuhl und begann, es sich um den Kopf zu wickeln. Sie umarmte zuerst Käthe, dann Emma und wünschte beiden eine sichere Reise. Schon halb im Türrahmen hielt sie nochmals inne.
»Eine Frage habe ich noch: Wieso reist ihr erst jetzt los? Ich meine, den Herbst über seid ihr doch in Gönningen gewesen. Helmut und Valentin hingegen haben im Herbst ihre Kunden besucht, Bestellungen aufgenommen und liefern diese nun aus.«
Emma und Käthe schauten sich an.
»Wir zwei halten das anders, aber damit sind wir die Einzigen in ganz Gönningen«, sagte Emma nach kurzer Pause. »Wir reisen nicht so viel in der Welt herum. Wir schreiben unsere Kunden im Herbst an, fragen nach ihren Wünschen und bitten um deren schriftliche Bestellung. Und die liefern wir nun aus. Schließlich wollen wir den persönlichen Kontakt wahren. Zudem haben wir auch immer etwas mehr dabei als das, was auf den Bestellzetteln steht. Beim Bestellen sind die Leute manchmal etwas … sparsam.«
»Und es kommt noch etwas anderes hinzu: Wenn du als Gönninger einmal auf der Reise warst, kannst du gar nichtmehr anders, als im nächsten Jahr abermals loszuziehen«, ergänzte Käthe.
»Bestellungen schriftlich annehmen – das ist ja ein toller Plan«, platzte Hannah heraus. »So erspart ihr euch eine ganze langwierige Reise! Ich frage mich, warum die Kerners das nicht auch so halten.«
»Die Kerners? Die wären die Letzten, die ihre alten Wege verlassen würden! Das wirst du auch noch merken …« Emma tätschelte ihr ein letztes Mal die Wange. »›Das haben wir schon immer so gemacht!‹«, sagte sie in einem nachäffenden Ton. »Diesen Satz wirst du zukünftig noch oft hören …«
17
Ein paar Tage später war Gönningen verwaist. Ein Geisterdorf!, dachte Hannah bei sich, während sie nach ihren Einkäufen bei Almuth auf das Kernersche Haus zuschlenderte. Schnee hing wie Rauch in der Luft, und sie fragte sich, wie es wohl Helmut und Valentin auf der Reise erging. Ob die beiden nachts auch immer ein ordentliches Dach über dem Kopf hatten?
Almuths Laden war einer der wenigen, die noch geöffnet hatten. Von dem guten Dutzend Wirtschaften waren bis auf zwei alle geschlossen – manche hatten sogar ihre Fenster verrammelt, aus Angst, der Nachtwächter könnte einen Einbrecher übersehen. Auch an den meisten verlassenen Wohnhäusern waren die Fensterläden Tag und Nacht geschlossen. Der Schuster, bei dem Helmut vor wenigen Tagen noch seine Stiefel abgeholt hatte, hatte ebenso zu wie zwei der Bäcker – alle waren auf der Reise. Nun herrschte kein geschäftiges Treiben mehr auf den Straßen und in den Gassen, einzig alte Leute und Schulkinder waren unterwegs. Nun, da die Eltern weg waren,hatten sie alle Zeit der Welt, die Schule zu erreichen. Wie viel schöner war es, Schneebälle zu werfen, mit den Stiefeln im Schneematsch zu panschen, sich gegenseitig zu ärgern oder bei Almuth im Laden Süßigkeiten zu erbetteln! Einmal war Hannah dabei, als Almuth sich tatsächlich erbarmte und jedem Racker ein Zuckerle in die Hand gab.
»Sie tun mir halt ein bisschen Leid«, hatte sie danach in fast entschuldigendem Ton zu Hannah und Wilhelmine gesagt. »Es ist nicht leicht, die Eltern immer wieder ziehen zu sehen und nicht zu wissen, ob sie je wiederkommen.«
»Papperlapapp!«, antwortete Wilhelmine unwirsch. »Widerspenstige, ungezogene Bengel sind das, allesamt! Und du
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