Die Samenhändlerin (German Edition)
Reise?
Versonnen blieb sie noch für ein Weilchen liegen, kuschelte sich in die warme Kuhle, die Helmuts Körper hinterlassen hatte. Ihr Mann.
So schön hatte er noch nie mit ihr gesprochen. So … innig!Ach, wie würde sie ihn vermissen! Wie kalt würden die Nächte werden ohne seine Wärme. Wie leer würde ihr dieser Raum vorkommen.
Nachdenklich schaute sie sich in ihrem Schlafzimmer um.
Vor Helmuts Hochzeit hatte Tante Finchen hier gelebt. Sie wohnte nun in einem wesentlich kleineren Raum im unteren Stockwerk, was ihr scheinbar sehr gelegen kam. »Endlich muss ich nicht mehr die vielen Treppen steigen«, hatte sie gesagt.
Ein Ehebett, ein Schrank, ein Tischchen am Fenster, dazu zwei Stühle – mehr Möbel gab es nicht. Und auch sonst war alles ausgesprochen nüchtern: kein Bild, kein bunter Flickenteppich, keine verspielten Gardinen, sondern schwere Leinenvorhänge. Der Raum strahlte eine Kälte aus, die Hannah frösteln ließ. Die anderen Zimmer im Haus sahen ähnlich aus: Praktische, langlebige Möbel ohne jeglichen Zierrat bestimmten das Bild. Lediglich die gute Stube und Gottliebs Büro waren aufwändiger eingerichtet, Räume also, in denen die Familie Gäste empfing. Hier wie dort beeindruckten Wanduhren, Porzellanfiguren, silberne Brieföffner und schwere Brokatvorhänge die Besucher. Für sich selbst schienen die Kerners nicht viel zu benötigen. Dabei war doch genügend Geld vorhanden!
Während Helmut auf der Reise ist, werde ich unser Zimmer ein wenig hübscher machen, beschloss sie. Gleich nachher würde sie Wilhelmine fragen, wie sie an ein paar bunte Stoffe kam. Der Gedanke brachte ihre gute Laune zurück, und froheren Mutes rappelte sie sich auf.
Beim Verlassen des Zimmers fiel ihr Blick auf den angefangenen Brief, das offene Tintenfass, die eingetrocknete Feder. Mit schlechtem Gewissen räumte Hannah alles weg. Heute war auch dafür keine Zeit mehr, aber sobald Helmut unterwegs war, würde sie ihrer Mutter jede Woche schreiben!
Bis zum Abendessen war Helmut noch immer nicht zurück. Hannah vermutete, dass er und Valentin ihre »Besorgungen« in einem der Wirtshäuser fortsetzten. Also hätte er mich auch mitnehmen können, ärgerte sie sich stumm. Immerhin war es einer ihrer letzten gemeinsamen Abende! Spontan griff sie sich ihren Mantel.
»Ich bin auf einen Sprung bei Emma und Käthe!«, rief sie in Richtung Küche, wo Wilhelmine Brot aufschnitt. Bevor ihre Schwiegermutter etwas einzuwenden vermochte, war sie aus dem Haus. So konnte sie, Hannah, sich wenigstens von der Wirtin und ihrer Tochter verabschieden, die ebenfalls morgen abreisen wollten.
»Die Unterwäsche ganz zuunterst! Wie oft soll ich dir das noch sagen? Wenn du unterwegs die Tasche öffnest, muss doch nicht jeder sofort deine Unterhosen sehen, oder?« Kopfschüttelnd wandte sich Emma Steiner wieder ihrem eigenen Gepäck zu.
Käthe tat, wie ihr geheißen, schnitt aber im selben Moment eine Grimasse.
Hannah zwinkerte ihr zu. »Die paar Sachen sollen für sechs Wochen reichen?« Sie nickte in Richtung der beiden Leinentaschen, die auf dem Tisch standen. Ein paar Leibchen und Unterhosen, ein Nachtkleid, Seife und einen Kamm – mehr hatten die beiden Steiner-Frauen bisher nicht eingepackt.
Emma lachte auf. »Gegen ein, zwei Kleider zum Wechseln hätte ich auch nichts einzuwenden. Aber wir haben sowieso schon genug zu tragen, da muss die Eitelkeit zurückstehen.« Sie zeigte auf die beiden prall mit Samentüten gefüllten Zwerchsäcke, die an der Wand lehnten.
»Auf der Reise muss man auf so manches verzichten«, ergänzte Käthe mit vor Aufregung geröteten Wangen. »Ach, ich kann’s kaum erwarten, dass es endlich losgeht!«
»Und wo geht die Reise hin?«, fragte Hannah gespannt.Käthes Vorfreude war regelrecht ansteckend. Irgendetwas Besonderes musste dem Samenhandel innewohnen – erst Helmuts feurige Worte über neue Welten und Möglichkeiten, und nun Emma und Käthe, die vor Reisefieber regelrecht glühten! Und ich muss hier bleiben, dachte Hannah geradezu trübselig. Dabei hatte sie vor wenigen Tagen Helmut gegenüber noch beteuert, wie froh sie war, ihre Reiseerfahrungen hinter sich gelassen zu haben.
»Ins Hohenlohische«, erwiderte Käthe mit Stolz in der Stimme. »Das ist ein guter Samenstrich, schon mein Vater – Gott hab ihn selig – hat dort früher gute Geschäfte gemacht.« Käthe rollte ein Schultertuch zu einer Wurst, mit der sie eine Seite ihrer Tasche auspolsterte. »Schwäbisch Hall ist eine
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