Die Samenhändlerin (German Edition)
eher zufällig in ihren Besitz gelangt. Nein, davon wollte sie ihrer Mutter nichts schreiben, sonst hätte sie die ganze Geschichte von Helmuts aufgelöster Verlobung aufrollen müssen.
Schwungvoll tauchte Hannah die Feder in die Tinte und setzte neu an.
Die Gönninger haben sich nicht lumpen lassen, und dabei bin ich doch eine Auswärtige! Mit offenen Armen wurde ich empfangen, bestimmt werde ich mit der einen oder anderen jungen Frau Freundschaft schließen. Und dann sind da ja auch noch Emma, die Wirtin, bei der ich anfangs wohnte, und Käthe, ihre Tochter. Ihnen habe ich viel zu verdanken. Sie sind so herzensgut, und umso mehr schmerzt es mich, dass kein Bursche etwas von Käthe wissen will! Sie zieht ihr Bein hinterher, aber müssen die Männer sie deshalb gleich völlig ablehnen? Natürlich hat sie auf meiner Hochzeit einige Tränen vergossen, und ich glaube, es waren nicht nur Tränen der Rührung und der Freude wegen mir dabei, sondern auch Tränen des eigenen Bedauerns.
Auch Helmuts Eltern sind sehr nett, vor allem sein Vater. Er will Gemeinderat werden, stellt euch vor!
Die Feder sank erneut hinab und hinterließ einen kleinen Tintenfleck auf dem Papier. Sollte sie schreiben, dass sich Helmuts Mutter ihr gegenüber sehr reserviert verhielt, oder würde sie ihrer Mutter damit nur Sorgen bereiten? Vielleicht wusste sie andererseits einen Rat, wie sie, Hannah, mit der unnahbaren Wilhelmine umgehen sollte? Nein, damit musste sie allein fertig werden. Ich müsste nur öfter die Bibel in die Hand nehmen und so tun, als würde ich darin lesen, schoss es ihr spöttisch durch den Kopf. Dann würde Mutter Wilhelmine auch einmal ein lobendes Wort für mich finden!
Insgesamt ist das Leben hier doch völlig anders. Alles dreht sich ums Geschäft! Von früh bis spät ist die ganze Familie in der Packstube versammelt, manchmal nehmen wir sogar unser Mittagessen dort ein. Dass dies aufgrund des Zeitmangels nicht sonderlich aufwändig ausfällt, könnt ihr euch ja vorstellen. Meist gibt es Brot und Suppe, und beides wird hastig verdrückt, um nur ja keine Zeit zu verlieren. Ich habe keine Ahnung, was ich eigentlich verpacke – irgendjemand drückt mir ein Löffelchen in die Hand, zeigt auf einen Sack mit Samen, und ich messe die geforderten Mengen ab und packe sie in kleine Tütchen. Ob das nun Möhren-, Kohlrabi- oder Blumensamen sind – ich weiß es nicht. Zeit für Erklärungen bleibt nicht – Helmut und Valentin brechen übermorgen zu ihren Kunden auf, und da müssen die Samen natürlich fertig verpackt sein. Aber ich habe mir fest vorgenommen, in den nächsten Monaten mehr über die wundersamen Samen zu lernen, so dass ich
»Hannah, kommst du? Die anderen sind schon in der Packstube.« Helmut steckte seinen Kopf durch die Tür.
Seufzend legte Hannah die Feder zur Seite. Da hatte sie sich endlich zum Schreiben durchgerungen, und schon wurde es wieder nichts! Hatte Mutter Wilhelmine nicht gesagt, sie würden sich erst mittags ans Einpacken machen?
Erst jetzt bemerkte sie, dass Helmut ausgehfertig vor ihr stand. Stirnrunzelnd deutete sie auf seine grüngrundige Pelzkappe. Diese und das weite Gewand, das er trug, waren doch eigentlich erst für die Reise bestimmt!
»Und was macht der feine Herr, während wir anderen schuften?«
Helmut grinste. »Der feine Herr bereitet sich auf seine nächste Reise vor. Ich muss dringend meine neuen Stiefel abholen, ich hätte sie schon längst ein, zwei Wochen einlaufen sollen. Dieses Versäumnis werde ich mit blutigen Blasen büßen müssen … Und dann will ich noch bei Heinz vorbeischauen. Er und sein Bruder brechen am selben Tag auf wie Valentin und ich, vielleicht können wir ein gutes Stück Weg auf ihrem Karren mitfahren.«
Hannah schluckte. Dass Helmut in zwei Tagen abreisen würde, hatte sie bisher tapfer verdrängt. Sie stand auf und trat auf ihn zu.
»Musst du wirklich fort? Ich meine, kann nicht Valentin einmal allein …« Noch während sie sprach, ärgerte sie sich, dass sie überhaupt davon angefangen hatte. Sie war nun eine Samenhändlerfrau – also benahm sie sich lieber so schnell wie möglich wie eine!
Ein Schatten huschte über Helmuts Gesicht. »Du weißt doch ganz genau, dass das nicht geht. Allein reisen ist viel zu gefährlich, denk nur an Seraphines Vater.«
Seraphine … nun war es Hannahs Miene, die sich verfinsterte. In wenigen Monaten würde sie das Mädchen als Schwägerin hier im Haus haben – und sie wusste noch nicht, was sie von
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