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Die Samenhändlerin (German Edition)

Die Samenhändlerin (German Edition)

Titel: Die Samenhändlerin (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Durst-Benning
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ein schönes Wesen zustande gebracht hatten, grenzte für sie an ein Wunder. Flora war etwas Besonderes. Eine Rose inmitten einer Löwenzahnwiese. Ein saftiger Festtagsbraten auf einer Tafel mit Kraut- und Rübengerichten. Ein Vollblutpferd inmitten von Ackergäulen. Hannah hütete sich, solche Gedanken laut zu äußern – teils aus Angst, durch ihren eitlen Mutterstolz das Schicksal herauszufordern, teils aus Sorge, von den anderen belächelt zu werden. Aber wenn sie und Helmut mit Flora allein waren, überboten sie sich in Komplimenten für ihre Tochter.
    Flora war nicht nur ein schönes, sondern auch ein ausgesprochen genügsames Kind, das höchstens schrie, wenn esHunger hatte. Solange sie unter Menschen war, gab sie sich damit zufrieden, von ihrer Wiege aus stundenlang das Treiben um sich herum zu beobachten. Sie ließ sich von jedermann auf den Arm nehmen, quengelte aber auch nicht, wenn sie wieder hingelegt wurde, sondern schlief binnen Minuten ein.
    Wilhelmine und Hannahs Mutter, die eigens zu Floras Taufe angereist war und einige Wochen blieb, waren sich darin einig, selten so ein braves Kind erlebt zu haben. Und das war gut so, denn im geschäftigen Betrieb rund um den Samenhandel blieb Hannah nicht viel Zeit, sich um ihre Tochter zu kümmern.
    Für Hannah war das späte Frühjahr 1850 eine Zeit der Freude: Sie kostete jede Stunde, die ihre Mutter zu Besuch war, fröhlich aus. Schlenderte mit ihr durch Gönningen, zeigte ihr mit Besitzerstolz den Acker, den sie angelegt hatte und auf dem die ersten Gemüse schon erntereif waren. Wie nicht anders zu erwarten, gab sich Sophia Brettschneider äußerst beeindruckt von Hannahs gärtnerischen Fähigkeiten, nannte Gönningen ein ausgesprochen hübsches Dorf, lobte Helmuts Qualitäten als Ehemann. Von Emma und Käthe Steiner war sie hellauf begeistert. Dass zwei Frauen es schafften, sich in der harten Wirtshauswelt der Männer zu behaupten, beeindruckte Sophia sehr. Emma dankte sie von Herzen für die Freundlichkeit, die sie Hannah in ihrer größten Not entgegengebracht hatte. Gönningen war ein guter Ort für Hannah – dieses Resümee zog Sophia Brettschneider sehr bald. Ein Ort mit freundlichen, offenen Menschen, einem bescheidenen Wohlstand und genügend Umtrieb, um Hannah die Sehnsucht nach dem großstädtischen Nürnberg zu vertreiben. Dass Gönningen spätestens im kommenden Herbst wieder wie ausgestorben sein würde, mochte Sophia Brettschneider kaum glauben.
    Es war einer der heißesten Tage des Jahres, dabei war es noch nicht einmal Mitte Juni. Wilhelmine lag mit Kopfschmerzen zu Bett, auch Tante Finchen hatte sich hingelegt, und Hannah war mit ihrer Mutter und Flora an der Wiesaz, um sich im lauen Wasser die Beine zu kühlen. Nur Gottlieb hatte sich wie jeden Morgen auf den Weg ins Gönninger Rathaus gemacht. Valentin begleitete ihn. Gemeinsam wollten Vater und Sohn später nach Tübingen fahren, um dem Oberamt einen Besuch abzustatten.
    Den Atem anhaltend, blieb Seraphine auf der letzten Treppenstufe stehen. Alles war ruhig. Nur aus Gottliebs altem Büro waren leise Kratzgeräusche zu hören, hin und wieder auch ein Fluchen. Seraphine lächelte.
    Im Gegensatz zu den anderen, die schon kurz nach dem Aufstehen völlig aufgelöst erschienen – die Kleidung durchgeschwitzt, die Haare strähnig, die Stirn glänzend –, fühlte sie sich kühl und frisch. Sie strich ein letztes Mal den wasserblauen Rock zurecht, versteckte das Musterbuch, das sie in braunes Packpapier eingeschlagen hatte, hinter ihrem Rücken und klopfte dann leise an.
    »Ja?«
    »Ich bin’s!« Sie huschte hinein, schloss die Tür hinter sich. Im Büro waren alle Fensterläden geschlossen. Seraphine blinzelte, um sich an die Dunkelheit zu gewöhnen.
    »Wenn du hier noch lange über deinen Büchern sitzt, machst du dir die Augen kaputt!«, sagte sie tadelnd.
    Helmut schnaubte. »Wenn ich die Läden nicht zumache, heizt sich das Zimmer auf wie ein Backofen. Bei dem Wetter könnte ich mir etwas Schöneres vorstellen, als hier zu sitzen! Aber einer muss schließlich das Geld verdienen.« Er grinste schräg. »Wenn die Bestellungen nur nicht so elendig viel Zeit beanspruchen würden …«
    »Ich könnte dir helfen, du musst mir nur zeigen, was ich tunsoll.« Seraphine zog den Besucherschemel, der vor dem Schreibtisch stand, an Helmuts Seite und setzte sich.
    Er schüttelte den Kopf. »Kommt gar nicht in Frage, dass du dir diesen schönen Tag hier drinnen um die Ohren schlägst. Aber sag,

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