Die Samenhändlerin (German Edition)
die Beine stellten, fielen die Brüder schließlich wie ohnmächtig in ihre Betten.
Gleich am nächsten Morgen bat Helmut Leonard, ihnen den Weg in den Freihafen zu zeigen. Dort wollten sie endlich ihre Ware genauestens in Augenschein nehmen. Obwohl Leonard ihnen viel lieber zuerst die Stadt gezeigt hätte, ließen sich die Samenhändler nicht beirren. Sie wollten unbedingt wissen, wie gut oder schlecht die empfindliche Ware die lange Reise überstanden hatte.
»Ich kann’s nicht glauben«, murmelte Helmut vor sich hin.Mit glänzenden Augen öffnete er die zweite Kiste, indem er mit einer Zange die Nägel aus der Holzbeplankung zog. »Wenn die Rosenstöcke genauso gut aussehen, dann sind wir gerettet!«
Valentin wühlte indessen noch immer in der ersten schon geöffneten Kiste.
»Die Lilienzwiebeln machen den Eindruck, als hätte man sie frisch aus der Erde geholt! Nicht verschrumpelt, nicht einmal an den äußeren Rändern angetrocknet – und das nach dieser langen Reise!«
Er wies mit einer weit ausholenden Geste in Richtung der riesigen Lagerflächen, zog jedoch seinen Arm im nächsten Moment wieder zu sich heran, um einem der unzähligen Fuhrwerke Platz zu machen, die sich hoch beladen durch die engen Fahrspuren des Freihafens manövrierten.
»Dass in diesem Tollhaus überhaupt etwas an seinem Platz ist …« Er warf dem Zollbeamten, der jeden ihrer Handgriffe mit Argusaugen beobachtete, einen anerkennenden Blick zu. »Die Burschen hier scheinen wirklich den Überblick zu bewahren!«
»Und nichts ist weggekommen«, murmelte Helmut. »Wenn ich daran denke, wie mulmig mir gestern Abend war, die Ware einfach aus den Augen zu lassen … Aber alles ist noch da, nicht eine Kiste ist unterwegs aufgebrochen worden oder verloren gegangen. Und alles ist in einwandfreiem Zustand!« Sein Gesicht wurde von einem schiefen Grinsen überzogen. »Wenn wir das nach Hause schreiben …«
»Ich fasse es nicht!« Triumphierend schaute Valentin von der letzten geöffneten Kiste auf. »Die Rosen sind auch in bester Verfassung!« Er hielt einen kahlen Rosenstock in die Höhe, um dessen Wurzeln ein Fetzen Sackleinen gewickelt war. »Keine Austrocknung, keine Spur von Erfrierungen!« Er fuhr sich mit dem Handrücken über die Augen, als könne er seinGlück nicht fassen. Im nächsten Moment knallte eine Hand hart auf seinem Rücken nieder.
»Na, alles in Ordnung?« Leonard lächelte so breit, dass seine Schnurrbartenden nach oben hüpften. »Hier im Freihafen liegen eure Sachen so sicher wie in Abrahams Schoß! Da kommt keiner dran, solange er nicht die entsprechenden Papiere vorweisen kann.«
Helmut legte Leonard kameradschaftlich einen Arm um die Schulter. »Mir fällt ein ganzer Steinbrocken vom Herzen! Nichts hat Schaden genommen. Also, wenn das kein gutes Omen fürs kommende Geschäft ist …« Er musste inzwischen schreien, um sich in dem immer lauter werdenden Stimmengewirr Gehör zu verschaffen.
»Ich schlage vor, wir lassen die Kisten noch für ein Weilchen in der Obhut dieses Mannes da und gehen zurück in die Stadt, um auf eure guten Geschäfte zu trinken!«, schrie Leonard.
»Und was ist mit der Verzollung? Sollten wir diese Angelegenheit nicht besser so schnell wie möglich hinter uns bringen?« Helmut biss sich auf die Lippen. Ihr »Unternehmen Russland« fing so vielversprechend an, da wollte er nun keinen Fehler machen. Außerdem sorgte er sich um die Lagerkosten. Am liebsten hätte er die ganze Ware mit zu Leonard nach Hause genommen, traute sich aber nicht, seinem Gastgeber diesen Wunsch vorzutragen.
Leonard winkte ab. »Wozu haben wir einen Freihafen? Willst du dir unnötige Kosten aufladen? Verzollt wird erst, wenn ihr die Sachen verkauft! Solange sie hier liegen, kosten sie euch keinen Rubel. So, und jetzt kommt. Ich kenne ein kleines Gasthaus, in dem man nur darauf wartet, unsere Krüge mit dem besten Wein der Gegend zu füllen!«
Mit frohem Herzen steuerten die drei Männer eine der zahlreichen steilen Treppen an, die den Hafen mit der höher gelegenen Stadt verbanden.
Der Rest des Tages verging, wie er begonnen hatte: Die beiden Brüder ertranken in einem Rausch aus Hochgefühlen, in die sich im Laufe der Stunden aber auch Nachdenklichkeit mischte.
Sicher, Leonard hatte ihnen von reichen Landsitzen mit schönen Parks erzählt, die rund um Odessa an der Küste entlang zu finden waren. Und er hatte ihnen in jedem seiner Briefe gute Geschäfte in Aussicht gestellt, die in der Stadt am Schwarzen
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