Die Samenhändlerin (German Edition)
hatte die Donau müde gemacht. Nur noch träge und mit wenig Gefälle schlängelte sie sich in Richtung Schwarzes Meer.
Am Ende der fünften Woche legte die »Malinka« endlich in Galati an. Für Helmut und Valentin bedeutete dies, das Ausladen ihrer Ware zu bewachen. Dank Richters warnenden Worten ließen sie ihre Holzkisten keinen Moment lang aus den Augen. Gleichzeitig mussten sie sich ein neues Schiff für die Weiterfahrt suchen. Mit Erstaunen stellten sie fest, dass die Schiffe, die von hier aus die Donau hinab- und weiter ins Schwarze Meer fuhren, noch größer waren als alle Donaukähne, die sie bisher gesehen hatten.
Hinter ihnen lagen karge Landstriche, die scheinbar unendliche Weite der russischen Ebenen, doch von nun an war die Landschaft dicht bewachsen und unübersichtlich. Wälder mit Bäumen, wie sie die Brüder noch nie gesehen hatten, säumten die Ufer, dichte Schilfrohrlandschaften versperrten den Blick, gaben ihn nur ab und an auf ein kleines Dorf frei, und das nun schon nahe Meer verlieh der Luft eine salzige Würze. Der mittlere Arm der Donau brachte die Samenhändler schließlich nach Sulina, wo das Schiff anlegte, um nochmals Fracht aufzunehmen. Einer der Matrosen machte sie auf ein Schild aufmerksam, das an einem riesigen Leuchtturm angebracht war: eine große schwarze Null auf weißem Grund. Hier war die Donau zu Ende, hier ergoss sie sich ins Schwarze Meer.
Helmut war bei diesem Anblick seltsam zumute. Er wünschte sich plötzlich, die Reise würde noch andauern. Wie hatten sie sich an den Rhythmus der Donau gewöhnt! Wie viele interessante Menschen hatten sie getroffen – Kapitäne,Lotsen, Zöllner, Passagiere –, in wie vielen fremden Häfen angelegt!
Nun ging die Reise hinaus aufs offene Meer. Am Abend des nächsten Tages würden sie, so Gott wollte, in Odessa anlegen.
Die Brüder lachten sich an. Odessa rief – und sie waren dabei, diesem Ruf nun endgültig zu folgen!
25
Es war schon dunkel, als sie im Hafen von Odessa anlegten. Ein letztes Mal hieß es Kisten ausladen. Auf wackligen Beinen staksten die Brüder anschließend durch den Freihafen, wo ihre Ware vorläufig aufbewahrt werden sollte.
Plötzlich hatten es beide nicht mehr eilig. Schweigend standen sie am Uferkai und schauten hinaus auf das schwarze Wasser, das von den Lichtern einiger Schiffe erhellt wurde.
Schließlich gab sich Helmut einen Ruck und legte Valentin einen Arm um die Schulter. »Dann wollen wir mal!«
»Und ob, Bruderherz, und ob!«
Beide legten in diesem Moment mehr Zuversicht in ihre Stimmen, als sie verspürten.
Nach einem halbstündigen Fußmarsch durch die Stadt hatten sie sich schließlich zu Leonards Haus durchgefragt.
Unsicher ließ Helmut seinen Blick an der langen Hausfront entlanggleiten. Waren sie hier wirklich richtig? Hier, in diesem riesigen Haus? Zögerlich betätigte er den Türklopfer, der aus einem riesigen Löwenschädel aus Messing bestand.
Die Begrüßung hätte unter engsten Familienmitgliedern nicht herzlicher sein können! Sowohl Leonard als auch seine Frau Eleonore hießen die beiden Brüder wie verlorene Söhnewillkommen. Umarmungen und Küsse wurden verteilt, dabei hatte man sich noch nie zuvor gesehen. So viel Gefühl war den Brüdern fast ein wenig unheimlich, zu Hause in Gönningen wäre eine solche Begrüßung undenkbar gewesen.
Binnen kürzester Zeit flatterten die fünf Töchter des Hauses samt ihren Ehemännern und Kindern herein, und auch von diesen wurden die Württemberger liebenswürdig begrüßt. Das Ganze ging derart turbulent vor sich, dass sich in kürzester Zeit auch die halbe Nachbarschaft versammelte, um an dem frohen Ereignis teilzuhaben. Helmut und Valentin, beide noch etwas erschöpft von der letzten Schiffspassage, wären am liebsten vor dem Durcheinander geflüchtet, doch für die nächsten Stunden gab es kein Entrinnen. So ließen sie sich willenlos ins Haus führen, wo ihnen als Erstes Gläser mit Wodka in die Hand gedrückt wurden. Danach wühlten sie mit einiger Anstrengung ihre Geschenke aus dem Gepäck hervor: Zwetschen- und Birnenbrand für Leonard, feinstes schwäbisches Leinen für seine Frau, für die Töchter Naschwerk, das sie in Böhmen gekauft hatten. Vor allem Eleonore schien über das feine Tuch hocherfreut. Auch nach mehr als dreißig Jahren sei sie vom Heimweh nach der alten Heimat nicht geheilt, gestand sie den Brüdern unter Tränen.
Nach einem nicht enden wollenden Begrüßungsfest, das die Frauen des Hauses eilends auf
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