Die Samenhändlerin (German Edition)
sie augenblicklich nach Gönningen brachte. Stattdessen stand ihnen erneut eine wochenlange Schiffsreise bevor. Die Zeit in der Fremde hatte sie ermüdet, die Sehnsucht nach der Heimat war riesengroß – vielleicht schafften sie es deshalb nicht, die Freude über das erfolgreich bestandene Abenteuer Russlandreise zuzulassen. Sie waren Helden. Sie hatten geschafft, woran so viele vor ihnen gescheitert waren. An diesen Gedanken hätten sie sich wärmen, sich mit kleinen Anekdoten die Zeit vertreiben können, stattdessen zogen sie sich wie Schnecken in ihr Haus aus Schweigen zurück.
Abgesehen von einem heftigen Gewitter mit Blitz und Donner kurz vor Pressburg verlief die Fahrt ruhig, fast zu ruhig für Helmuts Geschmack. Ewig tatenlos herumzusitzen machte ihn unleidlich. Aus lauter Langeweile zettelte er unnötige Streitereien mit Mitfahrenden an, spielte Karten oder würfelte, allerdings nur mit kleinen Einsätzen. Ansonsten blieben die Brüder unter sich.
Als sie nach endlos erscheinenden Wochen schließlich in Wien ankamen, hatte Helmut das Gefühl, wilde Hummeln hätten sich auf seinem Hosenboden breit gemacht, so sehr juckte es ihn, etwas zu unternehmen.
»Heute Abend wird gefeiert!«, sagte er zu Valentin, noch bevor sie den Hafen verlassen hatten. »Lass uns trinken gehen, den besten Wein! Von mir aus auch Bier, wenn dir das lieber ist. Ich will Musik, und selbst zu einem Tänzchen würde ich nicht Nein sagen! Haben wir das nicht verdient?«
Valentin lachte. »Aber lass uns wenigstens zuerst unser Gepäck bei der Neidler-Wirtin verstauen.«
»Abgemacht!« Krachend landete Helmuts Hand auf Valentins Rücken. »Und dann gehört der Abend uns!«
Kurze Zeit später saßen sie in einem der vielen Wirtshäuser, die sich am Donauufer aneinander drängten.
Ihre Koffer und Taschen hatten sie in ihrem Zimmer abgestellt. Dort wäre alles gut aufgehoben, an ihr käme niemand unerlaubt vorbei, hatte die Neidler-Wirtin ihnen versichert. Angesichts ihrer Leibesfülle glaubten die Brüder dies gern, trotzdem konnten sie sich nicht überwinden, ihr Geld ebenfalls im Zimmer zu lassen. So trugen sie es wie auf der langen Reise in mehreren Beuteln am Körper. Leonard hatte sogar darauf bestanden, dass Eleonore ihnen speziell zugeschnittene Taschen nähte, die man im Hosenlatz tragen konnte. »Ein Brustbeutel ist schnell vom Hals gerissen, aber es muss schon viel geschehen, bis euch einer an den Sack greift!«, hatte er lachend gesagt,es aber durchaus ernst gemeint. Und so baumelte seit Wochen ein Geldbeutel in ihrem Schritt, nicht gerade ein angenehmes Gefühl …
Außer ihrem waren nur noch drei weitere Tische besetzt. Das Essen schmeckte fast so fade wie auf dem Schiff, statt Musik war lediglich das Zetern der Köchin mit dem Küchenjungen zu hören, und das Bier war schal und wässrig. Ein scharfer Geruch nach Bohnerwachs zog durch den Raum.
Valentin musste zum wiederholten Mal niesen.
»Nicht einmal anständiges Bier gibt es hier, und kochen können sie auch nicht!« Helmut starrte auf seine Suppe, in der ein jämmerliches Stückchen Fleisch schwamm. Mit Todesverachtung führte er schließlich einen Löffel zum Mund und warf ihn dann scheppernd auf den Tisch. »Komm, lass uns woanders hingehen!« Er warf ein paar Münzen auf den Tisch, dann stand er ruckartig auf.
Valentin packte ihn am Ärmel und zog ihn wieder auf den Stuhl.
»Wir bleiben!«, zischte er. »Das war so ausgemacht, erinnere dich!«
»Stell dich doch nicht so an! Wir müssen ja nicht gleich durch die halbe Stadt laufen. Lass uns einfach ein paar Türen weiterziehen! Irgendwo muss es doch ein wenig mehr Leben geben als hier«, fauchte Helmut zurück. Noch während er sprach, ging die Tür auf. »Gleich nebenan habe ich …« Er verstummte.
Valentin folgte dem Blick seines Bruders auf die vier jungen Frauen, die sich an einem der Nebentische niederließen, nachdem sie sich an der Theke Krüge mit Bier geholt hatten. Sie waren auffällig gekleidet, zu auffällig für diese Umgebung, dachte Valentin. Dann zog er Helmut näher an sich heran.
»Ich habe keine Lust, mich in irgendeiner dunklen Gasse überfallen zu lassen. Wir trinken noch ein, zwei Bier, und danngeht’s in unser Zimmer. Feiern können wir, wenn wir das Geld sicher heimgebracht haben.«
»Ist ja gut.« Ungeduldig winkte Helmut ab. »Was machen vier hübsche Weibsbilder allein in einem Wirtshaus?«, murmelte er dann. Eine der Frauen, die seine Blicke durchaus bemerkt hatte, hob die
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