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Die Samenhändlerin (German Edition)

Die Samenhändlerin (German Edition)

Titel: Die Samenhändlerin (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Durst-Benning
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stumpfen Messer zu spitzen.
    Während der Gendarm mit quälender Langsamkeit die Daten der Reisepässe in ein Formular übertrug, schaute Valentinan sich hinab. Sein Hemd war offen und völlig verschmutzt, die Knöpfe abgerissen, seine Hose da zerrissen, wo die Diebe an den Taschen gezerrt hatten. Ihre Brustbeutel waren weg, der Beutel, den Helmut um die Hüfte gebunden hatte, ebenfalls. Nur die beiden »Sackbeutel« von Leonard waren ihnen erhalten geblieben – ein schwacher Trost, denn darin befanden sich gerade einmal zwei Fünftel ihres Geldes. Genug, um die Heimreise zu bezahlen …
    Das darf doch alles nicht wahr sein! Ein Alptraum! Bitte, lieber Gott, mach, dass ich gleich aufwache …
    Nervös fuhr sich Valentin übers Gesicht, das rau war von den Bartstoppeln.
    Helmut, der völlig in sich versunken dasaß, sah keinen Deut besser aus, ganz im Gegenteil: Seine linke Gesichtshälfte war mit Blut verschmiert, das aus einer Platzwunde unter dem Auge stammte. Er hielt sich den Kopf, als habe er Schmerzen. Hatte er auch eins drübergezogen bekommen? Valentin schüttelte sich wie ein nasser Hund, doch die Erinnerung wollte nicht kommen.
    Nur an die Zeit davor erinnerte er sich. Nach höchstens zehn Minuten Fußmarsch hatten sie ihr neues Ziel erreicht: Das Gartenlokal, in das die Damen sie geführt hatten, trug den seltsamen Namen »Goldene Henne«. Auch dort waren höchstens vier Tische besetzt, aber die Stimmung war fröhlich und laut und der Wein gut. Fackeln brannten, Nachtinsekten schwärmten umher, es war richtig behaglich. Valentin dachte, dass die Stimmung Seraphine gefallen würde. Milan, ein Ungar, hatte auf seiner Geige gespielt, laut und nicht immer richtig, die Töne kratzten Valentin noch immer im Ohr. Sie hatten getanzt, Helmut mit der Frau, die sich Rosi nannte, er selbst mit … Den Namen der Frau hatte er ebenfalls vergessen. Doch dann war es vom Donauufer empfindlich frisch heraufgezogen, und die feuchte Luft hatte seine Knochen so steif gemacht,dass ihm die Tanzschritte schwer fielen. Er wollte gehen, zurück in den Gasthof –
    »So, und jetzt erzählen Sie!« Mit gezücktem Bleistift und gelangweilter Miene schaute der zweite Gendarm von einem Bruder zum anderen.
    Helmut rappelte sich aus seiner Erstarrung auf. Stockend schilderte er die Vorkommnisse des Abends. Wie sie von einem Wirtshaus zum nächsten gegangen waren, in Begleitung der vier Hofschauspielerinnen und –
    »Hofschauspielerinnen?« Weggeblasen war die gelangweilte Miene des Gendarmen, sein Bleistift fiel mit einem scheppernden Geräusch auf die Tischplatte und rollte bis an deren Rand.
    Beide Brüder nickten beklommen.
    »Feine Damen waren das!«, spuckte Helmut aus.
    Wieder ging ein bedeutungsvoller Blick zwischen den beiden Gendarmen hin und her.
    »Erzählen Sie weiter!«
    Helmut machte eine hilflose Handbewegung. »Sie müssen uns etwas in den Wein getan haben, ein Schlafpulver oder … ich weiß nicht. Mein Kopf tut weh, da ist eine Beule, vielleicht bin ich auch bewusstlos geschlagen worden. Ab einem bestimmten Moment hab ich keine Erinnerung mehr. Alles schwarz!«
    »Ich bin davon aufgewacht, dass ich fror. Als ich mich umschaute, wusste ich nicht, wo ich war und wie ich an diesen Ort gekommen bin«, ergänzte Valentin mit trockenem Mund. Jämmerlich hatte er gefroren, tat es noch immer. Er hatte das Gefühl, nie mehr in seinem Leben richtig warm werden zu können.
    Alles weg. Der Ertrag von fünf Monaten. Alles für die Katz! Was soll jetzt nur werden …
    Er schlug beide Hände vors Gesicht.
    »Lassen Sie mich raten …« Der ältere Gendarm seufzte. »Als Sie aufwachten, befanden Sie sich nicht mehr in der ›GoldenenHenne‹?« Er nannte den Namen mit einem ironischen Unterton.
    Nachdem Helmut den Kopf geschüttelt hatte, fuhr er fort: »Stattdessen ausgeraubt in irgendeiner Gasse. Haben Sie versucht, die Lokalität, in welche die ›Damen‹ Sie geführt haben, wiederzufinden?«
    »Natürlich!«, rief Helmut. »Das war unser erster Weg heute früh, noch bevor wir hierher auf die Wache gingen. Ich wollte einfach nicht glauben, dass so etwas uns passiert!«
    Wie nicht ganz bei Sinnen waren sie am Donauufer umhergeirrt, waren von Haus zu Haus gegangen, doch auf keinem der Wirtshausschilder prangte eine goldene Henne. Bei Tag sah alles ganz anders aus, und sie hatten gestritten: Waren sie an dieser Ecke links oder rechts abgebogen? Helmut hatte gemeint, so weit wären sie gar nicht gelaufen, Valentin dagegen

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