Die Samuraiprinzessin - Der Spiegel der Göttin: Band 1 (German Edition)
Er hatte sich doch nicht etwa Sorgen um mich gemacht?
»Ich war auf dem Weg um den See, als ich einen alten Mann getroffen habe, der eine schwere Kiepe trug. Ich habe ihm nur ein bisschen tragen geholfen.«
Hiroshis Miene nahm einen misstrauischen Zug an. »Was war das für ein alter Mann?«, fragte er und ließ seinen Blick weiter durch die Gegend schweifen.
»Ein sehr alter Großvater, der schwer an einer Holzkiepe geschleppt hat. Ich versichere dir, er hat sich nicht in einen Dämon verwandelt und wollte mich auch nicht fressen.«
»Da hast du Glück gehabt. Wie ich sehe, sollte ich dir wohl mehr über Dämonen und Geister erzählen.«
»Aber warum?«, fragte ich und machte mich von seinem Blick los. »Das war nur ein alter Mann, der meine Hilfe brauchte! Sollten Mönche nicht den Schwachen und Alten helfen?«
Hiroshi schaute mich missbilligend an. »Was das angeht, hast du recht, aber glaubst du wirklich, ein Großvater würde sich allein an den Biwa-See wagen, um Holz zu suchen? Wahrscheinlich war dieser Mann ein Oni! Wenn du sein Missfallen erregt hättest, hätte er dich mit seinem Keulenarm töten können!«
Natürlich wusste ich, was Oni waren, und nachdem ich erfahren hatte, das Kitsune keine Märchen waren und Rakshasa existierten, hielt ich auch die Existenz dieser Naturgeister nicht für ausgeschlossen.
»Aber ich habe sein Missfallen nicht erregt«, gab ich zurück. »Und woher willst du wissen, dass es ein Oni war, wenn du ihn nicht einmal gesehen hast? Auf mich wirkte er jedenfalls nicht besonders dämonisch. Und es wäre doch möglich, dass sich hier ein Einsiedler niederlässt, oder?«
Hiroshi sah mich zweifelnd an.
»Führe mich zu dieser Hütte«, verlangte er plötzlich.
»Aber warum?«, entgegnete ich. »Es war wirklich nur ein alter Mann, und ich habe ihm nicht erzählt, was wir wirklich hier suchen.«
»Dennoch, führe mich zu ihm. Ich glaube, ich muss ein Wörtchen mit ihm reden.«
»Du kannst diesem Mann doch nichts antun, nur weil ich ihm geholfen habe, sein Holz zu tragen!«
»Wer redet denn davon, dass ich ihm etwas antun will?« Hiroshi bemühte sich um eine Unschuldsmiene, doch es gelang ihm nicht. So wie er mich jetzt ansah, hätte er ein ganzes Dorf in die Flucht schlagen können. »Wenn er wirklich ein Oni ist, kann er uns vielleicht sagen, wo der Zugang zum Palast des Drachenkönigs ist. Du hast ihm einen Gefallen getan, jetzt ist er dran. Oder hat er dir eine Belohnung gegeben?«
»Nein, das nicht … Aber er hat mir eine angeboten, und ich habe sie ausgeschlagen.«
»Das tut nichts zur Sache. Du kannst es dir überlegt haben. Auf jeden Fall steht er jetzt in deiner Schuld.«
Schon der Gedanke, dass ich mich vor den Alten stellen und nachträglich etwas für die Hilfe verlangen sollte, erweckte in mir größte Scham. Doch mir blieb nichts anderes übrig. Seufzend kehrte ich um und stapfte in die Richtung, aus der ich gekommen war. Obwohl die Bäume hier alle gleich wirkten, fand ich schon bald den knorrigen Baum und bog dort nach rechts ab. Meine Spuren im Schlamm suchte ich vergeblich, sobald sich mein Stiefel daraus gelöst hatte, musste er sich wieder zusammengezogen haben.
Doch dann entdeckte ich auch den gespaltenen Baum. Kurz dahinter musste die Hütte liegen.
Wir gingen noch ein Stück weiter, wobei ich meinen Blick suchend wandern ließ. Die Hütte konnte ich allerdings nicht entdecken. Dabei war der Nebel nicht einmal dichter geworden.
»Seltsam«, murmelte ich und fragte mich, ob ich nicht irgendwo falsch abgebogen war. Doch ich war sicher, dass dies der Weg war, den wir genommen hatten. Die beiden Punkte, die ich mir gemerkt hatte, stimmten überein.
»Was ist seltsam?«, erkundigte sich Hiroshi, der mein Murmeln natürlich mitbekommen hatte.
Mir widerstrebte es zuzugeben, dass ich die Hütte nicht wiederfand. Oder dass sie vielleicht verschwunden war. Doch auch nachdem wir ein ganzes Stück weitergegangen waren, tauchte die Unterkunft des alten Mannes nicht auf.
Seufzend ließ ich die Schultern hängen. Es nützte nichts. »Sie hätte hier irgendwo stehen sollen.«
»Doch sie ist verschwunden«, setzte Hiroshi hinzu, und seine Stimme troff nur so vor Genugtuung.
Dass ich tatsächlich einem Geist geholfen hatte, bescherte mir nachträglich eine Gänsehaut. Es war genauso wie beim ersten Mal, als wir der alten Frau begegnet waren. Warum nur konnte ich Menschen von Geistern nicht unterscheiden?
»Du musst vorsichtig sein«, sagte Hiroshi, und
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