Die Samuraiprinzessin - Der Spiegel der Göttin: Band 1 (German Edition)
ich arbeitete stumm weiter. Als das Tuch voll war, schnürte ich es zusammen und trat erneut an die Kiepe.
»Willst du nicht lieber das Tuch nehmen?«, fragte der Alte zweifelnd.
»Nein, Ojī-san, ich nehme die Kiepe, die ist schwerer.« Diesmal gelang es mir, sie anzuheben. Sie war zwar schwer, aber mein Rücken konnte das sicher besser vertragen als der des alten Mannes.
Der Alte sah mich an, als wollte er sich vergewissern, dass ich es auch wirklich schaffte.
Dann schulterte er das Bündel und sagte: »Hier entlang«, und führte mich zwischen den Trauerweiden hindurch, deren Äste fast den Boden berührten. Es war sehr rutschig, Schlamm schmatzte unter meinen Stiefeln. Ich fragte mich, wo die Hütte des Alten lag. Er musste doch irgendwo am See wohnen, sonst würde er hier nicht Holz sammeln.
»Sag, Mädchen, was führt dich in diese Gegend?«, fragte der Mann, nachdem wir uns ein Stück vom See entfernt hatten. Kurz durchzuckte es mich, dass ich ja eigentlich nach dem Höhleneingang suchen sollte. Aber ich war sicher, dass ich den Weg zurück finden würde. Und dann blieb immer noch genug Zeit, um nach dem Palast des Drachenkönigs zu suchen.
»Ich bin mit meinem Lehrmeister unterwegs, wir haben hier Rast gemacht.«
»Dein Lehrmeister?«
»Ein Mönch aus dem Kloster Enryakuji«, entgegnete ich.
»Seit wann nimmt dieses Kloster Mädchen auf? Als ich noch jung war, hat es das noch nicht gegeben.«
»Ihr kennt das Kloster?«
»Ich habe zumindest genug darüber gehört.«
»Nun, es ist nicht so, dass ich dort richtig aufgenommen wurde. Der Abt ermöglicht es mir nur, mich ausbilden zu lassen.«
»Das muss ein wirklich großzügiger Mann sein.« Ein Lächeln huschte über das Gesicht des Alten, als hätte er plötzlich eine lange vergessene Erinnerung vor sich.
»Das ist er. Und ich bin ihm sehr dankbar dafür.«
Auf diese Worte hin versanken wir beide in unsere eigenen Gedanken. Die des alten Mannes kannte ich freilich nicht, doch ich verspürte nun wieder die Sorge um Takeshi und hoffte, dass wir den Spiegel der Göttin finden würden – und zwar rechtzeitig.
Ich hielt Ausschau nach Wegmarken, damit ich den Weg zum See auch wirklich wiederfand und mir nicht Hiroshis Spott anhören musste, falls ich stundenlang durch den Wald irrte und er mich suchen musste. Viele Bäume sahen sich hier sehr ähnlich, doch einer fiel mir besonders auf. Es war ein großer knorriger Stamm mit weit ausladender Krone. Seine Rinde war schwarz, er musste schon vor vielen Jahren abgestorben sein. Seine Äste sahen aus wie die umgedrehten und versteinerten Tentakel eines Tintenfischs, den ich einmal auf einer Schriftrolle gesehen hatte. Diesen Baum würde ich jederzeit wiedererkennen. Genauso wie den umgeknickten Baum ein Stück weiter, der aussah, als sei er von einem Blitzschlag gespalten worden.
»Da vorn ist mein bescheidenes Heim«, sagte der alte Mann schließlich und deutete auf ein moosbedecktes, etwas windschiefes Gebäude. Die Feuchtigkeit ließ Moos und Algen nur so wuchern, sodass die Hütte fast gänzlich mit ihrer Umgebung verschmolz.
»Möchtest du vielleicht auf eine Schale Tee bleiben?«
»Vielen Dank, das ist sehr freundlich von Euch, aber ich muss zu meinem Lehrmeister zurück. Er wird sicher schon auf mich warten.«
»Nun, wie du willst, Mädchen. Stell die Kiepe einfach vor der Hütte ab. Ich nehme mir dann raus, was ich brauche.«
Ich tat wie geheißen. Dabei streifte mein Blick das Fenster. Die Hütte wirkte leer. Wahrscheinlich war dieser Mann sehr, sehr arm.
»Hab Dank für deine Hilfe, Mädchen, und was immer dein Lehrmeister und du hier sucht, möge die Suche von Erfolg gekrönt sein.«
Ich verbeugte mich vor ihm und verabschiedete mich. Ohne mich noch einmal umzudrehen, eilte ich zum See zurück. Den gespaltenen Baum ließ ich ebenso hinter mir wie den schwarzen Tentakelbaum. Ohne die Last einer Holzkiepe versanken meine Stiefel nicht mehr so tief im Morast, sodass ich Hoffnung hegte, das Seeufer zu erreichen, bevor Hiroshi mein Fehlen bemerkte.
Ich konnte das Schilf und das Wasser beinahe schon riechen, als hinter mir ein Ruf erscholl, den ich nur zu gut kannte.
»Tomoe!«
Ich schnellte herum. Hiroshi kam auf mich zugelaufen, als sei eine Horde Rakshasa hinter ihm her. Doch Verfolger konnte ich nicht erkennen. Und sein Ruf klang auch nicht warnend, sondern eher verärgert.
»Wo warst du?«, fuhr er mich an, als er bei mir angekommen war. Wirkte seine Haut jetzt noch fahler als sonst?
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