Die Samuraiprinzessin - Der Spiegel der Göttin: Band 1 (German Edition)
war. Doch dann taten wir wie geheißen und versteckten uns im Schilf.
»Sie wird uns noch viel Ärger machen«, schimpfte Hiroshi hinter mir. »Fuchsfrauen tun das immer.«
»Sei besser still, sonst hilft sie uns vielleicht gar nicht mehr!«, ermahnte ich ihn.
Die Augenblicke, in denen nichts geschah, dehnten sich hin. Ich konnte Hiroshis Ungeduld spüren. Hin und wieder murmelte er etwas, das wie eine Verwünschung klang, doch die Kitsune hörte es entweder nicht oder sie ignorierte es. Vollkommen ruhig verharrte sie auf ihrem Platz, drehte ab und zu den Kopf, lauschte, schnupperte. Als ich nach einer Weile den Blick auf den Himmel richtete, bemerkte ich, dass sich der Nebel tatsächlich zu lichten begann. Erste Sterne blitzten auf, die Baumkronen wurden als schwarze Schatten sichtbar. Dann sah ich den Mond. Er war vollkommen gerundet, selbst mein Vater hätte nicht erkennen können, dass etwas an ihm fehlte.
Die Kitsune betrachtete das Treiben einen Moment lang, dann kam sie zu uns und rollte sich vor meinen Füßen zusammen. »Ryujin erwacht nun. Nicht mehr lange, und ihr werdet erkennen, wo sich der Eingang zu seinem Palast befindet.«
Tatsächlich dauerte es nicht lange, bis eine seltsame Unruhe die Luft zu befallen schien. Darauf folgte ein leichtes Vibrieren des Bodens. Einige Nachtvögel flatterten erschrocken aus dem Gebüsch auf, das leise Singen der Zikaden verstummte. Nicht einmal der Wind wehte mehr. Die Schwingen der davonfliegenden Vögel waren noch für ein paar Atemzüge zu hören, dann verschwanden auch sie. In ehrfürchtiger Stille erwartete der See die Auferstehung seines Herrn.
Das Vibrieren des Bodens wurde stärker. Ich hatte erst einmal ein leichtes Erdbeben mitbekommen, als ich noch sehr klein war. Damals hatte Mutter uns geheißen, hinaus aufs Feld zu gehen und uns flach auf den Boden zu legen. Das hier war jedoch etwas vollkommen anderes.
Die Macht, die sich unter dem Boden zu regen begann, war gewaltig. Da sich der Drachenkönig langsam bewegte, würde wohl nichts Verheerendes geschehen, aber ich konnte nun verstehen, dass es zu einem schrecklichen Erdbeben kommen würde, sollte jemand Ryujin aus dem Schlaf schrecken.
Plötzlich schoss ein grelles Licht aus dem Boden! Es hatte die Farbe von Feuer, fast konnte man glauben, ein Vulkan habe sein Maul geöffnet, um glühende Lava in die Luft zu speien. Doch wir sahen weder Flammen noch glühendes Gestein.
Kurz darauf bebte der Boden unter gewaltigen Schritten. Ich traute meinen Augen kaum, als ich die Gestalt in dem Lichtschein auftauchen sah.
Sie war so groß wie die Bäume selbst und der Mondschein spiegelte sich in ihren Schuppen. Der Kopf war riesig, die Augen leuchteten wie zum Schmelzen gebrachtes Metall. Kleine Hörner ragten aus der Stirn. Ein Drache. Der Drachenkönig war selbst ein Drache!
Unter seinen mächtigen Beinen erzitterte der Wald.
In diesem Augenblick vergaß ich tatsächlich zu atmen. Erst als meine Lungen zu brennen begannen und mein Herz hart gegen meine Brust pochte, holte ich wieder Luft. Ein leichter Schwindel erfasste mich. Auch wenn ich Kitsune und Rakshasa kennengelernt hatte, auch wenn ich dem Geist einer alten Frau begegnet war – ich hatte nicht geglaubt, dass es wirklich Drachen gab. Wenn meine Mutter von ihnen erzählte, meinte sie immer, die Drachen seien vor vielen Jahren ausgestorben. Aber einen von ihnen gab es noch immer. Ryujin.
Nachdem er sich wachsam umgesehen hatte, setzte sich der massige Leib mit dem langen Schlangenschwanz in Bewegung. Dabei hinterließ er eine tiefe Spur im Schlamm, drückte etwas Schilf nieder und riss ein paar kleinere Bäume um.
Ich fürchtete schon, dass er auch uns mitsamt des Schilfes zermalmen würde, doch als der Drachenkönig majestätisch an uns vorüberzog, riss er nur ein paar kleine Bäume weg.
Vögel, die er aufschrecken konnte, gab es nicht mehr, denn sie hatten schon längst das Weite gesucht.
»Ihr solltet jetzt den Palast betreten«, wisperte die Kitsune, als der Drache an uns vorüber war. »Ryujin hat diesmal keine Eile, aber dennoch könnte es dauern, bis ihr den Spiegel gefunden habt. Ihr müsst zurück sein, bevor er zurück ist und sich der Boden über euch wieder schließt.«
»Als ob ich das nicht wüsste«, zeterte Hiroshi finster.
»Natürlich weißt du das, ehrenwerter Diener Enmas. Aber jetzt sollten wir keine kostbare Zeit mit Streit vergeuden. Der Beistand der Götter möge mit dir sein, Tomoe.«
Wir erhoben uns aus dem Schilf.
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