Die Samuraiprinzessin - Der Spiegel der Göttin: Band 1 (German Edition)
erst um das Ufer herum, dann ein Stück in den Wald hinein. Für einen Moment glaubte ich schon, dass Hiroshi recht hatte mit seinem Misstrauen. Dann bemerkte ich, dass ich diesen Weg schon einmal gegangen war.
»Ich hatte dir die Lösung des Rätsels bereits vor ein paar Stunden gegeben, Tomoe«, wisperte die Kitsune mir zu.
»Das Haus des alten Mannes?«
»Ja, genau.«
»Aber warum hast du dich denn nicht zu erkennen gegeben? Und warum hast du die Hütte wieder verschwinden lassen?«
»Der Drachenkönig reagiert ziemlich empfindlich auf Magie. Du weißt doch hoffentlich, dass er die meiste Zeit schläft, oder?«
»Das hat uns die alte Frau erzählt.«
»Es ist notwendig, dass der Drachenkönig schläft und dass man ihn schlafen lässt. Würde er unvermittelt geweckt, könnte sein Aufschrecken ein Erdbeben auslösen. Das ist das Letzte, was wir den Menschen wünschen wollen, nicht wahr?«
Ich schüttelte den Kopf. Vor Erdbeben hatte sich selbst mein Vater gefürchtet. Als Junge hatte er eines miterlebt, was ihm fürs ganze Leben große Ehrfurcht eingejagt hatte.
»Das alles hättest du uns schon erzählen können, als du zum ersten Mal mit uns zusammengetroffen bist«, wandte Hiroshi ein, der hinter uns über den schlammigen Boden stapfte. »Warum hast du das nicht getan?«
»Weil ich nicht wusste, wer ihr seid, ganz einfach!«, gab die Kitsune zurück. »Ihr hättet auch genauso gut aus niederen Gründen nach dem Spiegel suchen können. Außerdem wusste ich damals noch nicht, dass ihr den Spiegel überhaupt sucht. Und darüber hinaus hast du nicht so gewirkt, als wärst du an meinem Rat interessiert, Diener des Enma!«
»Deshalb sind wir dir auch sehr dankbar, dass du inzwischen Vertrauen gefasst hast und uns helfen willst«, versuchte ich den neuerlich aufkeimenden Streit zu schlichten. Ich verstand nicht, warum Hiroshi die Kitsune nicht mochte. Sie war vielleicht ein wenig seltsam, aber ich spürte an ihr keine schlechten Absichten. Dass sie ihn offenbar gern neckte, war etwas anderes, aber darüber sollte doch ein Diener des Totenkönigs erhaben sein …
»Ich helfe dir, Tomoe-chan, denn du bist von den Göttern auserwählt. Und ich sage dir ganz offen, dass du ohne den Diener des Todes besser dran wärst.«
»Hüte deine Zunge, Kitsune«, mahnte Hiroshi zornig.
Die Kitsune schnaubte nur verächtlich, dann kehrte sie zum Drachenkönig zurück:
»Der Drachenkönig schläft also, bis auf diesen einen Tag. Dann erwacht er und verlässt seinen Palast, um die Oberfläche seines Sees im Mondschein zu bewundern.«
Ich blickte nach oben. Der Mond mochte zwar scheinen, immerhin beleuchtete er die dicken weißen Nebelschleier. Doch die hielten ihn hinter sich versteckt, wie ein eifersüchtiger Mann seine schöne Frau versteckte. Wahrscheinlich würde der Drachenkönig heute nicht viel von seinem geliebten Mond sehen können.
»In dem Augenblick, wo er den Palast verlässt, ist der Zugang offen. Es heißt, dass der Drachenkönig den See einmal umrundet und vor Einbruch der Dämmerung in sein Reich zurückkehrt. So lange habt ihr Zeit, den Palast zu durchsuchen und den Spiegel zu finden.«
»Du weißt nicht zufällig, wo genau wir den Spiegel finden können?«, fragte ich schnell, bevor Hiroshi wieder etwas Beleidigendes von sich geben konnte. Die Kitsune war eine wertvolle Verbündete, auch wenn er das anders sah.
»Nein, das weiß ich leider nicht«, entgegnete die Fuchsfrau. »Ich war noch nie im Palast des Drachenkönigs. Ich weiß nur, wo und wann er zu finden ist.«
Den Rest des Weges legten wir stumm zurück. Als wir an der Stelle angekommen waren, an der das kleine Haus gestanden haben musste, zischte die Kitsune: »Besser, ihr versteckt euch im Schilf. Es wird nicht mehr lange dauern, bis der Drachenkönig erwacht.«
»Woher weißt du das?«
»Ich spüre es an der Luft. Der Nebel hebt sich. Mag er auch den Rest des Jahres fast ständig über dem See und dem Wald hängen, wenn der Drachenkönig seinem unterirdischen Palast entsteigt, löst er sich auf, denn er fürchtet den Zorn von Ryujin. Wenn der Drachenkönig nicht sehen kann, wie sich der Mond in dem See spiegelt, wird er sehr ungehalten.«
Noch konnte ich nicht erkennen, dass sich etwas am Nebel veränderte. Aber die Kitsune hatte andere Sinne als ich. Sie setzte sich nun neben mich, schloss kurz die Augen und schnupperte in die Luft. »Ja«, wisperte sie dann. »Ja, bald.«
Ich fragte mich, wie lange »bald« in der Welt einer Kitsune
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