Die Samuraiprinzessin - Der Spiegel der Göttin: Band 1 (German Edition)
dass er schon immer so gewesen war. Wahrscheinlich hatten die Mönche die Weide extra für ihre Pferde angelegt.
Am Waldrand setzte ich mich auf einen umgekippten Baumstamm und blickte ins Tal hinunter. Das Kloster wirkte jetzt wesentlich überschaubarer, und weil das Wetter klar war, konnte ich sogar den Biwa-See sehen, an dessen Ufern Geister und Dämonen hausen sollten, jedenfalls nach den Geschichten, die sich die Mönche erzählten, wenn sie auf dem Übungsplatz waren.
Ich hätte den Anblick gerne noch länger genossen, doch plötzlich hatte ich das Gefühl, von jemandem beobachtet zu werden. Ähnlich wie damals an der heißen Quelle …
Ich erhob mich langsam, wie zufällig, und wandte mich dann um. Zu sehen war nichts, aber dennoch, der Blick haftete an mir. War mir einer der Mönche oder gar der Jungen gefolgt? Doch wenn, müsste er sich über mir befinden – oder in einem der hohen Bäume sitzen.
Langsam verließ ich meinen Sitzplatz und ging tiefer in den Wald hinein. Dabei ließ ich meinen Blick aufmerksam über die Bäume streifen und lauschte, so gut ich konnte, in das dunstige Zwielicht hinein.
Plötzlich traf mich etwas an der Schulter. Ich verspürte einen Stich und glaubte zunächst, dass ein Insekt gegen mich geprallt war und vor Schreck zugestochen hatte.
Dann sauste ein Pfeil an mir vorbei und verschwand in der Baumkrone. Ein erstickter Schrei folgte, etwas raschelte über mir und krachte wenig später zu Boden. Zunächst hielt ich es für ein großes Tier, dann sah ich, dass es sich um einen Menschen handelte.
Allerdings konnte ich mich nicht mehr fragen, was dies zu bedeuten hatte. Vor meinen Augen verschwamm alles, und ehe ich jemanden um Hilfe bitten konnte, brachen meine Knie ein, und ich fiel zu Boden. Jetzt wurde mir klar, was mich getroffen hatte: ein Giftpfeil.
Mit schwindendem Bewusstsein nahm ich noch wahr, dass mich jemand an der Schulter packte und etwas aus mir herauszog. Dann wurde es schwarz um mich herum.
»Dummes Mädchen«, schalt mich eine Stimme, als ich die Augen wieder aufschlug.
Obwohl mir der Klang bekannt vorkam, realisierte ich erst einen Moment später, dass Hiroshi bei mir war.
Er war wieder zurück? Sollte er nicht bei den anderen Mönchen sein?
Ich wollte die Augen öffnen, doch es gelang mir nicht. Schwer wie Blei waren meine Lider. Was ich auch anstellte, ich bekam sie nicht auf. Als ich mit den Händen nachhelfen wollte, merkte ich, dass auch diese bleischwer waren. Es fühlte sich an, als hätte sie jemand am Boden festgenagelt.
»Was ist das?«, wollte ich fragen, doch anstelle meiner Stimme ertönte nur ein seltsamer Laut.
Dieser schien Hiroshi auf mich aufmerksam zu machen, denn ich hörte, wie er neben mich trat, und am Rascheln seines Gewandes erkannte ich, dass er in die Hocke ging.
»Du kannst mich hören, nicht wahr?«, fragte er, worauf ich statt einer Antwort wieder nur dieses Geräusch machen konnte. Aber das schien ihn nicht weiter zu stören.
»Es ist immer so, dass das Gehör zuerst wiederkehrt – wenn man den Angriff mit einem Lähmgift überlebt. Ja, du hörst richtig, du hast ein Lähmgift abbekommen. Der Pfeil in deiner Schulter, erinnerst du dich?« Seine Stimme nahm nun einen spöttischen Unterton an, was mich mehr verletzte, als wenn er mich angeschrien hätte. »Hast du eigentlich eine Ahnung, warum Regeln aufgestellt werden? Nein? Regeln sind dazu da, dich zu schützen. Regeln sind dazu da, damit auch alle anderen geschützt werden. Wenn dir gesagt wird, dass du nicht vom Weg abweichen sollst, bleibst du auf dem Weg, eigentlich ist das doch nicht schwer zu verstehen? Und dennoch bist du ungehorsam, obwohl du nicht weißt, welche Gefahren hier draußen auf dich lauern.«
Während die Worte auf mich niederprasselten wie die dicken Tropfen eines Gewitterregens, fragte ich mich seltsamerweise nicht, von welchen Gefahren Hiroshi sprach. Ich fragte mich, welchen Anblick ich wohl abgab mit meinem gelähmten Körper. Ich wusste ja nicht einmal, wie ich dalag. Vielleicht hatte sich mein Lehrer einen Spaß daraus gemacht, mich seltsam zu verbiegen, während ich so schön wehr- und gefühllos war.
Dann begann es auf meiner Stirn zu kribbeln, so furchtbar, als würde ein Heer Ameisen darüber hinweglaufen. Doch noch immer konnte ich mich nicht rühren. Und noch immer lauschte ich Hiroshis Zetern.
»Nun, vielleicht ist es auch mein Fehler, vielleicht habe ich als Lehrmeister versagt. Ich sollte dich mit festerer Hand führen und dir
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