Die Samuraiprinzessin - Der Spiegel der Göttin: Band 1 (German Edition)
einbläuen, dass Gehorsam so heißt, weil man gehorcht und sich nicht auf eigene Faust in den Wald begibt.«
Am liebsten hätte ich ihm gesagt, dass es hilfreicher wäre, wenn er mir sagen würde, welche Gefahren das waren. Man lief doch auch nicht geradewegs in den Schlund eines Drachen, wenn man wusste, dass er am Wegrand schnarchte!
Aber Hiroshi erklärte mir noch eine ganze Weile lang, was Gehorsam bedeutete, und drohte allerlei Strafen an, bis er sich schließlich über mich beugte und mit den Daumen meine Lider anhob. Das plötzliche Licht stach wie ein Messer in meine Augäpfel. Ich wollte das Gesicht verziehen und die unbarmherzigen Daumen abschütteln, aber das war nicht möglich. Hiroshis Miene wirkte im Gegensatz zu seiner Stimme alles andere als belustigt. Schwarz wie Kohlen glänzten seine Augen, ich hätte schwören können, dass die Pupille alles Weiß darin verschlungen hatte.
Aber wahrscheinlich war das nur eine Sinnestäuschung, weil mich die Sonne blendete.
»Es wäre die Unwahrheit, wenn ich sagen würde, dass mir das hier leidtut«, setzte er erneut an. »Aber ich muss deine Pupillen dazu zwingen, sich zu öffnen. Lähmgift breitet sich wie ein Feuer im Blut aus und legt alles lahm, was sich in deinem Leib bewegt: das Blut, den Herzschlag, die Lungen … Hätte ich dir den Pfeil nicht so rasch aus dem Körper gezogen, wärst du jetzt tot. Die Schattenkrieger gehen sehr gründlich vor, und da du in ihr Gebiet eingedrungen bist, hatten sie auch das Recht dazu.«
Ich war in das Gebiet der Schattenkrieger eingedrungen? Gehörte das Land neben dem Weg nicht dem Kloster? Noch nie hatte ich gehört, dass man einen Weg besitzen konnte, aber nicht das Land ringsherum.
»Nicht umsonst habe ich dir gesagt, dass du den Weg nicht verlassen sollst. Was hattest du denn bloß da oben verloren? Du solltest hier nur nach dem Pferd sehen, nichts weiter!«
Darauf hätte ich ihm gern eine Antwort gegeben, doch meine Zunge gehorchte immer noch nicht. Aber sie begann nun ebenfalls schier unerträglich zu kribbeln.
»Ich wette, als Nächstes spürst du deine Zunge wieder«, bemerkte Hiroshi spöttisch. »Es dauert noch eine Weile, bis du wieder sprechen kannst, denn auch deine Stimme ist gelähmt, aber von allem, was an einem Körper zum Leben zurückfinden kann, ist das Erwachen des Mundes das Schlimmste.«
Er blieb neben mir hocken und betrachtete mich ganz genau. Das Vergnügen auf seinem Gesicht entging mir nicht. Gleichzeitig fragte ich mich, ob er selbst schon einmal so eine Vergiftung erlebt hatte, denn er schien sich damit sehr gut auszukennen.
Meine ersten Worte, die ich schließlich wieder sprechen konnte, klangen lallend wie die eines alten Mannes, der zu viel Sake getrunken hatte. Doch dann schaffte ich es, den ersten richtigen Satz hervorzubringen, sehr, sehr schleppend zwar, aber so, dass Hiroshi ihn gewiss verstehen würde.
»Warum … gehört … das … Land … den … Schatten…kriegern … ?«
»Uralte Abkommen«, erklärte Hiroshi finster. »Hat Satoshi dir die Geschichte der Entstehung des Klosters erzählt?«
Ich nickte.
»Ich kann dir nur weitergeben, was ich selbst erzählt bekommen habe, aber ich versuche mein Bestes, es dir zu erklären. Als der damalige Abt beschloss, das Kloster hier oben zu errichten, traf er auf die Schattenkrieger, deren angestammtes Reich das Gebirge ist. Sicher hast du schon von ihnen gehört.«
Die Schattenkrieger waren bisher vage Legenden gewesen. Mein Vater hatte sie vielleicht ein- oder zweimal erwähnt, im Dorf erzählte man sich hinter vorgehaltener Hand von ihnen. Niemand wagte es, ihren Namen Ninja auszusprechen, denn es ging die Rede, dass jeder, der es tat, nur noch wenige Stunden zu leben hatte. Die Schattenkrieger hatten ihre Augen und Ohren überall. Sie ermordeten ihre Opfer im Schlaf, sodass ihnen niemand etwas nachweisen konnte. Sie waren leiser als der Wind, und man sagte, sie könnten sich sogar unsichtbar machen.
Wenn mein Lehrer recht hatte mit seiner Vermutung, hatte ich wirklich großes Glück gehabt.
»Es war gewiss nicht einfach gewesen, sie davon zu überzeugen, ihren Herrschaftsbereich zu teilen. Mönche und Ninjas kämpften eine Weile gegeneinander und verloren dabei einen guten Teil ihrer Anhänger. Als beide Parteien einsehen mussten, dass keine Seite siegreich sein konnte, ohne die eigene Vernichtung in Kauf zu nehmen, schlossen die Anführer der Schattenkrieger einen Pakt mit dem Abt. Die Mönche durften auf dem Berg ein
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