Die Samuraiprinzessin - Der Spiegel der Göttin: Band 1 (German Edition)
Hochmut musste ein Mensch besitzen, wenn er derart sprechen konnte? Jeder Junge im Dorf, der so von meinen Eltern sprach, hätte eine Tracht Prügel bekommen.
Dennoch ließ ich meine Naginata weiter kreisen.
»Es ist nur schade, dass sie dich nicht ebenfalls getötet haben. Ich wette, die Räuber haben sich mit deinen Schwestern und deiner Mutter vergnügt, bevor sie ihnen die Kehlen durchschnitten.«
Diesmal war er zu weit gegangen. Einen Moment lang stockte meine Hand, verräterisch für das Auge eines Burschen, der gelernt hatte, Unsicherheit im Gesicht eines Feindes zu erkennen. Taketsunas höhnisches Lächeln traf mich wie eine Ohrfeige.
Es wäre ein Leichtes gewesen, die Waffe gegen ihn zu richten. Im Geiste malte ich mir bereits aus, wie die schöne, scharfe Klinge durch seinen Hals fuhr und seine hämische Stimme zu einem Gurgeln wurde.
Doch dann gewannen meine Hände wieder an Festigkeit. Die Naginata schwang weiterhin kraftvoll und ruhig durch meine Hände, und ihr leises Singen kühlte die Glut meines Zorns.
Das schien Taketsuna zu überraschen, denn tatsächlich schwieg er mehrere Atemzüge lang. Ich versuchte seine Anwesenheit zu vergessen, einfach nicht mehr auf ihn zu achten und meine Ohren vor seinen Boshaftigkeiten zu verschließen.
Und siehe da, es gelang, auf einmal schien er nicht mehr zu existieren. Es gab nur noch die Klinge, die im Fackelschein aufblitzte und dabei ihr helles Lied sang.
»Du hast dich sehr gut beherrscht«, drang plötzlich wieder eine Stimme an mein Ohr. Diesmal klang sie tiefer und brachte mich dazu, erschrocken innezuhalten.
Seelenruhig trat Hiroshi aus dem Schatten. Taketsuna war verschwunden, so als hätten mein Wunsch und mein Schweigen ausgereicht, um ihn zu vertreiben.
»Ein Krieger darf nie die Ruhe verlieren, auch dann nicht, wenn er vom Feind verhöhnt und verspottet wird. Selbst großen Männern gelingt das nicht immer.« Mein Lehrmeister baute sich mit ernster Miene vor mir auf.
»Warum verfolgt mich Taketsuna mit so großem Hass?«, fragte ich, während ich meine Waffe senkte. »Jedermann weiß, dass es nur Zufall war, dass ich ihn besiegen konnte. Ihr wisst es doch auch, Sensei, warum sieht er das nicht?«
»Taketsuna ist der dritte Sohn eines mächtigen Adligen und hat daher nur wenige Aussichten darauf, eines Tages den Besitz und den Titel zu erben. Das Schwert ist seine Bestimmung.«
»Aber ich mache sie ihm doch nicht streitig!«
»Du hast ihm seine Unzulänglichkeit gezeigt«, entgegnete Hiroshi mit einem fast schon bösen Lächeln, von dem ich nicht wusste, wem es wirklich galt. »Ein Mädchen besiegt den Sohn eines Kriegsherrn! Und die Brüder des Klosters haben das mit angesehen. Taketsuna darf seine Scham nicht zeigen, doch sie sitzt tief in seiner Seele. Möglicherweise hast du dir einen Feind fürs Leben gemacht.«
Ein Grollen folgte seinen Worten. Über den Bergen schien sich ein Unwetter zusammenzubrauen.
»Aber es wird eine Zeit kommen, in der ein Feind wie Taketsuna vollkommen bedeutungslos ist. Deine Feinde werden zahlreich und gefährlicher sein, als es der Bursche je sein kann. Mach dir also darüber keine Gedanken.«
Das Grollen wurde lauter. Hiroshi beachtete es nicht.
»Deine Strafe wird darin bestehen, dass du ab sofort jeden Abend mit deiner Waffe übst«, sagte er stattdessen zu mir. »Und zwar bis spät in die Nacht hinein. Dennoch wirst du dich im Morgengrauen von deinem Lager erheben und arbeiten wie immer, hast du verstanden?«
Beinahe wäre mir herausgerutscht, dass dies für mich doch keine Strafe war.
»Ja, Sensei«, antwortete ich mit demütig gesenktem Kopf.
»Und wehe, du wirst nachlässig oder zeigst nicht den Fortschritt, den ich von dir erwarte! Dann wirst du monatelang Böden schrubben, ohne die Erlaubnis, auch nur eine Waffe zu berühren.«
»Ich werde mich nach Kräften bemühen.«
Aus dem Augenwinkel heraus bemerkte ich, dass in der Ferne ein Blitz niederging. Diesmal war das darauf folgende Grollen so laut, dass es durch das gesamte Kloster dröhnte. Wer sich von den Mönchen bereits zur Ruhe begeben hatte, war gewiss unsanft hochgeschreckt worden.
»Gut, dann geh besser in deine Kammer, ich bin sicher, dass das Gewitter gleich richtig losbricht.«
Ich stellte meine Waffe zurück, und die vergleichsweise milde Strafe ließ meine Kühnheit wieder wachsen.
»Sensei«, begann ich vorsichtig. »Erinnert Ihr Euch an die Botschaft, bevor Ihr losgeritten seid?«
Hiroshi sah mich mit leerer Miene an,
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