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Die San-Diego-Mission

Die San-Diego-Mission

Titel: Die San-Diego-Mission Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joseph Wambaugh
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hatte erneut auf ihn angelegt. Renee feuerte ein drittes Mal, und er gab einen vierten Schuß ab, als der Mann sich umdrehte und abhaute.
    Allein dies war beunruhigend, aber gleichwohl längst nicht so beunruhigend wie das, was Renee empfand, als er hörte, daß der Mann, den er niedergeschossen hatte, in einem Krankenhaus von Tijuana lag und noch lebte. Er empfand eine abgrundtiefe Enttäuschung. Dann hatte er Angst vor sich selbst, weil er so enttäuscht war.
    »Was ist nur mit mir los?« fragte er Herbert Camacho, seinen Vater, Freund und Vertrauten.
    »Ich kann dich sehr gut verstehen, Renee, wenn du glaubst, daß du dir als Polizeibeamter keine solchen Gefühle leisten kannst«, sagte sein Vater, als sie in seinem kleinen Friseurladen in der Nähe der Dreizehnten und der Market Street ein Bier miteinander tranken.
    »Ich habe so was noch nie erlebt, Dad!« Reneés Knabentenor zitterte immer noch, obgleich er über diese Ereignisse ja nur berichtete.
    »Du machst da eine ziemlich ungewöhnliche Art von Polizeidienst, mi hijo«, sagte der Friseur zu Renee, seinem einzigen Kind, abgesehen davon, daß die Camachos einen verwaisten Neffen als eigenes Kind großgezogen hatten.
    »Aber ich war sauer, daß er noch lebte!« sagte Renee. »Als nächstes erfährst du sicher, daß ich einen Gangster bloß deshalb erschossen habe, weil's ihn gejuckt hat und weil er sich gekratzt hat!«
    Herbert Camacho, der mit einiger Wahrscheinlichkeit wußte, daß er Krebs hatte und daran sterben würde, sagte: »Wenn deine Gefühle dazu führen, daß du zu schnell schießt, ist es mir gar nicht mal so unlieb. Es ist mir lieber, du legst einen um und fühlst dich schlecht, als daß du zögerst und selber umgelegt wirst.«
    Kurz und bündig, in der Copsprache: Besser zwölfmal Ärger als von sechsen getragen werden.
    Obgleich Renee immer ein Junge gewesen war, der sich stets gern zum Lächeln entschloß und am liebsten unbeschwert glücklich war, wurde im gesamten Verlauf dieser beunruhigenden Unterhaltung, die er mit seinem Vater führte, eine Alternative so gut wie nie erwähnt. So einfach und im Grunde naheliegend die Alternative auch war, so gut wie kein Barfer schaffte es.
    Die Alternative hätte darin bestanden, zu Manny Lopez zu gehen und zu sagen: »Ich hau ab. Ich hab die Schnauze restlos voll. Ich will zurück zum uniformierten Streifendienst.« Ende der Fahnenstange.
    Aber es wäre ein Sakrileg gewesen, eine schwere Verletzung der machismo -Gesetze, die sowohl für Cops als auch für Mexikaner galten, und in dieser Hinsicht waren sie auf dem besten Weg, echte Mexikaner zu werden.
    Einen allerdings gab's ja, der sich die Sache im Gegensatz zu allen anderen offensichtlich doch überlegt und sie hinter sich gebracht hatte, bevor dies alles passiert war. Manny Lopez ging mehr und mehr dazu über, den jungen Cop schlechtzumachen, der die Squad vor Ablauf jenes 90-Tage-Moratoriums verlassen hatte, über das mittlerweile ein Menschenalter hinweggegangen zu sein schien. Manny behauptete, dieser junge Cop sei ein Drückeberger. Er hämmerte allen ein, daß sie mit der Aufgabe von BARF alles aufgeben und für den Rest des Lebens zwangsläufig auf sämtliche Herausforderungen verzichten würden. Er hämmerte ihnen ein, daß sie sich schließlich selber hassen und keinen Pfifferling mehr wert sein würden, wenn sie abhauten.
    Sie redeten nach wie vor nur selten über ihre Angst. Höchstens mal über jene Ängste, über die man diskutieren konnte, ohne gegen das ungeschriebene Gesetz zu verstoßen. Eddie Cervantes beispielsweise redete häufig darüber, daß der körperliche Verfall bei den Gangstern mehr und mehr um sich griff: Hepatitis, Geschlechtskrankheiten, Tuberkulose, der überwältigende Gestank von verwesendem Fleisch, und was das alles für sie bedeutete.
    »Ich hab Angst«, pflegte er zu sagen. Dann jedoch fügte er schnell hinzu: »Ich meine, ich hab Angst, nach Hause zu gehen und meine Kinder zu küssen.«
    Auffällig waren auch andere kleine Dinge. Wenn sie auf dem Schießstand mit dem Schrotgewehr trainierten, merkten mehrere Barfer, die bis dahin ausgezeichnete Schützen gewesen waren, daß sie Schwierigkeiten mit der Zielgenauigkeit und sogar mit dem Nachladen hatten. Sie stellten sich außerdem wie immer im Halbkreis auf, um mit Schrotgewehren und Revolvern auf mehrere Ziele gleichzeitig zu schießen, aber neuerdings flogen dem nächststehenden Schützen die Bleisplitter schon um die Ohren, und der Pulverqualm stieg ihm

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