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Die San-Diego-Mission

Die San-Diego-Mission

Titel: Die San-Diego-Mission Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joseph Wambaugh
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an Punkten, von denen aus ihre Männer sich gegenseitig unterstützen, Verbrechen beobachten, Gangster festnehmen und Opfern helfen konnten. Und einer schaute den anderen fassungslos an, als plötzlich einige weitere hundert Grenzgänger in der Dämmerung auftauchten. Menschen jeden Alters tauchten auf, als seien sie direkt dem Erdboden entstiegen. Menschen, die bisher unsichtbar gewesen waren – die sich ausgeruht, geschlafen, gegessen und gebetet hatten. Sie tauchten auf aus Mesquitesträuchern und Felsen und skelettierten Eichen. Sie tauchten einfach auf!
    Und dann war es dunkel. Von jetzt auf gleich.
    Die Berge gerieten in Bewegung. Die Massen wogten gen Norden auf ihrer Reise in das gelobte Land. Es war dunkel geworden. Dunkler, als sie es sich je hätten vorstellen können. Dick Snider hatte ihnen zwar noch und noch erzählt, wie dunkel es in den Canyons war, aber Herr des Himmels! Das war ja finster. Konnte eine normale Nacht wirklich derart finster sein? Am Himmel stand sogar ein sichelförmiger Mond, und dennoch, es war stockfinster. Und überall waren Menschen, wohin man auch sah.
    Die Star-Trek-Lampen, die zu den abgesägten Schrotgewehren gehörten, hatten so und so keinen Sinn und wurden schnell abmontiert. Die Funksprechgeräte funktionierten in den Canyons nur unzulänglich. Durch das Nachtsichtglas sah man lediglich die Umrisse der Menschen. Sie sahen immerhin eine Szene, von der sich zumindest vermuten ließ, daß ein Grenzführer mit einer Gruppe von etwa fünfzehn Menschen verhandelte. Einige davon schienen Kinder zu sein. Man sah die Umrisse von drei Gestalten, bei denen es sich möglicherweise um Gangster handelte, neben einem Felspfeiler lauern. Dann verschwanden die Umrisse. Dann verschwanden selbst die Felsen.
    Es war keineswegs still, schien aber ungewöhnlich still zu sein. In den Canyons bellten die allgegenwärtigen Hunde, fast verrückt vor Freude über die Abfälle, die die Grenzgänger bei ihrem Abmarsch liegengelassen hatten. Überall in den weiter südlich gelegenen Hügeln, unten in Colonia Libertad, der Heimat vieler Gangster und Schmuggler, Drogenhändler und Säufer, leuchteten die Kerosinlampen. Was tagsüber schmutzig wirkte, war am Abend schön. Die Kerosinlampen flackerten. Der Dreck verklärte sich.
    Die Musik setzte ein, zumeist aus Radios, aber sie konnten auch ein paar menschliche Stimmen singen hören, überall aus Richtung Süden, von der imaginären Linie her, aus den Hügeln von Colonia Libertad. Dann hörten sie diese Klicks. Zunächst kriegten sie eine Gänsehaut. Die Sicherungsflügel von Schußwaffen, die zurückgezogen wurden? Gangster, die Schußwaffen hatten? Nein, Kastagnetten! Genau wie Kastagnetten hört sich das an. Aber was, zum Teufel, soll das? Tanzen da irgendwelche Leute Flamenco in den Canyons?
    Es waren Steine. Es war das Klicken von Steinen. Oder die Geräusche kamen daher, daß die Leute hin und wieder mit den Fingern schnalzten. Zu sprechen trauten sie sich nicht, diese Massen, die da durch die Canyons auf sie zukamen. Sie gaben einander Signale, indem sie Steine gegen andere Steine klicken ließen. Alle, wie sie da waren: die Grenzgänger, die Führer, die Gangster.
    Ausgemergelte Hunde, die sie ein Stück begleiteten, hörten plötzlich auf, zu bellen, zu knurren oder zu winseln. Selbst die Kinder schrien nicht mehr. Alle Geschöpfe in den Canyons schienen das Ritual zu respektieren, das sich in jeder Nacht des Jahres wiederholte, wenn nicht gerade eine Sintflut die Gegend überschwemmte oder ein Orkan ausbrach. Das Schweigen dieser Massen war so unheimlich, daß es die Cops verunsicherte. Klick klick klick und kein anderes Geräusch von den Leuten da unten.
    Die Stadtcops konnten keine sieben Meter weit sehen. Und es wurde noch finsterer. Dann sahen sie bloß noch fünf Meter weit. Und es wurde noch finsterer.
    Tony Puente, der als der einzige von ihnen schlechte Augen hatte, nahm seine Brille ab, putzte sie sorgfältig und setzte sie wieder auf, weil er kaum noch drei Meter weit sehen konnte. Einen Augenblick später konnte er kaum noch zwei Meter weit sehen. Und ähnlich ging's allen.
    Die Zeitungen von San Diego erschienen tagelang mit heroischen Schlagzeilen:
    POLIZEI-GROSSANGRIFF WILL GANGSTER AN DER GRENZE AUSRADIEREN.
    TREIBJAGD AUF GRENZGANGSTER.
    SCHARFE ATTACKEN GEGEN GRENZVERBRECHER.
    Ein trauriges Faktum jedoch wurde ihnen spätestens in der dritten Nacht hier draußen schmerzlich bewußt: Die Nahkämpfer konnten in dieser

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