Die San-Diego-Mission
gab es da eine sehr interessante Unterhaltung, eine Unterhaltung, die Tony Puente und die anderen Cops gewiß bis an ihr Lebensende nicht vergessen würden.
Manny Lopez gab die üblichen zwanzig Kommandos pro Sekunde, indem er dem einen befahl, sich um die Transportfrage zu kümmern, dem anderen, das Arschloch, bei dem er sich die Fingerknöchel aufgeschlagen hatte, in Schach zu halten, und dem dritten, für die Berichte die Namen aller Pollos zu notieren. Und wo, zum Henker, ist Tony? Hier ist er ja. Wo warst du? Wo steckt Robbie Hurt mit den Fahrzeugen? Warum hört mir niemand zu? Pennen die denn alle in der Zentrale? Und das unvermeidliche: »Hör zu, du Arschloch!«
Auf die Weise kriegte Manny Lopez kaum was davon mit, was während seiner endlosen Litanei von Beschimpfungen und Befehlen die anderen Barfer zu sehen und zu hören bekamen. Die gesamte Truppe, das Ensemble und die Zweitbesetzung, alle miteinander blutend, frierend und mit grünen und blauen Flecken übersät, war fasziniert, denn wie häufig erlebt man ein Wunder? Oder wenigstens, wie oft trifft man jemanden, der gerade ein Wunder erlebt?
Das Kind Esther Lugo wimmerte immer noch, mittlerweile allerdings nicht mehr ganz so laut. Aber Rosa Lugo war diejenige, auf die sie alle wie gebannt starrten. Sie hatte sich an Manny Lopez gehängt. Sie war auf die Knie gesunken, mitten in diesem Graben voller Glassplitter und Felsbrocken. Sie lag auf den Knien, und Manny merkte gar nicht mal, daß sie an ihm festhing.
Manny Lopez tat das, was er immer tat: Irgendeinen seiner Leute verwünschte er gerade wegen totaler Inkompetenz, und im selben Atemzug drohte er dem verhinderten Mädchenschänder an, er werde ihm so große Löcher in den Schädel schlagen, daß ihm Spinnen reinkriechen könnten. Manny Lopez schenkte der Tatsache, daß Rosa Lugo sich an ihm festgehängt hatte, wirklich keine allzu große Aufmerksamkeit.
Die Frau hielt seine Hand fest. Sie hatte seine verletzte, geschwollene Hand in ihre beiden Hände gebettet. Wahrscheinlich hörte sie gar nicht, wie er fluchte und brüllte und Theater machte und vor Wut schäumte. Sie kniete nieder, schaute auf zu Manny Lopez und dankte IHM, weil er ihr Manny Lopez zu Hilfe geschickt hatte.
Sie sagte zu dem Sergeant: »Gott hat euch geschickt. Ich habe gewagt, Hilfe von IHM zu verlangen, und ER in SEINER Güte hat euch zu uns geschickt!«
Manny Lopez jedoch schenkte dem Wunder, das Rosa Lugo widerfahren war, erst dann Aufmerksamkeit, als sie am Ende seine kaputte, geschwollene Flosse vor den Augen der völlig hingerissenen Barfer-Truppe an ihr Gesicht preßte, als sei's eine Reliquie.
Unter Tränen küßte sie die Hand von Manny Lopez.
»He, lassen Sie das bleiben, Lady!« sagte Manny Lopez. »Was soll der Scheiß?«
Sie hörte gar nicht zu. Sie hörte sicherlich gerade das Lied eines Engels. Rosa Lugo hatte ihr Wunder erlebt.
Die Barfer hatten das Gefühl, hier draußen in diesen Bergen echt entrückt gewesen zu sein. Ein paar von ihnen fingen sofort an zu diskutieren, ob's wirklich ein Wunder gewesen war. Und was, bitte, man unter einem Wunder eigentlich verstand? Aber versuch mal einer, Rosa Lugo beizubringen, sie habe kein Wunder erlebt. Es sollte tatsächlich nur mal einer versuchen.
Sobald sie Feierabend hatten, brachen sie einer ganzen Anzahl von Flaschen mit äußerst harten Getränken den Hals. Alles in allem, es widerfährt einem schließlich nicht jede Nacht, daß man Spezial-Unterstützung von Gottvater persönlich kriegt. Außerdem fragten sie sich immer aufs neue, wie es möglich war, daß sich zwanzig Männer von einigen wenigen Halbstarken terrorisieren ließen und es zugelassen hätten, daß ein hilfloses Mädchen vergewaltigt würde. Waren das denn nur Feiglinge, diese demütigen Grenzgänger? Und was heißt denn überhaupt Mut? Und was heißt Überleben? Und was, verdammt noch mal, ist ein Wunder nun wirklich?
Dieser Job machte sie noch verrückt. Sie redeten über Dinge, über die normalerweise nie ein Cop redet. Das war längst keine normale Polizeiarbeit mehr. Ein paar von ihnen waren in der Tat heilfroh, daß der Zeitpunkt näher rückte, an dem diese 90-Tage-Frist ablief.
Später in dieser Nacht, als er endlich Zeit hatte, die Sache mit Dick Snider zu besprechen, bekam die Rettung aus dem Tunnel auch für Manny Lopez noch eine zusätzliche Dimension. Die dramatische Errettung eines kleinen Mädchens genau zwei Tage nach Weihnachten? Ein verdammtes, verrücktes Weihnachtswunder,
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