Die San-Diego-Mission
glaube ich, daß ich mit einem Säufer von Mexikaner verheiratet bin«, erklärte sie ihm.
»Aber BARF ist doch vorbei. Ich werde ja nächstens weniger trinken«, versprach er.
Jede Nacht las sie zwei Stunden in der Bibel, und er konnte nichts dagegen tun. Und wahr und wahrhaftig, auch wenn er sich dagegen auflehnte, mischte sich in seinen Haß gegen ihre Kirche bereits ein massiver Zweifel. Sicher, er verabscheute die neue Religion zutiefst. Was aber konnte er dagegensetzen, wenn da jemand meinte, er müsse an was glauben? Er erinnerte sich noch an den weißen Priester: »Ihr Mann ist tot, Mrs. Puente? Ich komme sofort … für fünfundsiebzig Dollar.«
Er war sich nie klar darüber gewesen, ob er an irgendwelche übernatürlichen Dinge glaubte, und was konnte er dann einem Mädchen geben, das offenkundig mehr als das haben wollte, was er hatte?
Gut und schön, vielleicht würde das eine oder andere wirklich besser werden, nachdem BARF jetzt vorbei war. Nachdem er wieder seine Uniform trug und normalen Polizeidienst tat. War es denn nicht vielleicht einzurichten, daß er bloß in der Tagesschicht arbeitete? Wenn er es schaffte, sich auch noch das Saufen abzugewöhnen, müßte es eigentlich besser werden. Vielleicht würde sie ihre bibelsüchtigen neuen Freunde nicht mehr ganz so dringend brauchen. Vielleicht konnte er sie ihr dann auch ganz abgewöhnen.
Jedenfalls machte er wieder seinen normalen, blöden, langweiligen, anständigen Polizeidienst. Und dann nahm er, effektiv an seinem allerersten Tag im normalen, blöden, langweiligen, anständigen Polizeidienst, einen Funkspruch entgegen. Er hielt das alles hinterher kaum für möglich. Er war sich nicht mal sicher, daß es passierte, während es passierte. Es war im Grunde wie nach diesen Saufnächten, wenn er noch halb betrunken aufwachte. Was war passiert? Was genau war passiert? Was war nicht passiert?
Er empfing diesen Funkspruch am hellichten Tag. Es ging um eine familiäre Auseinandersetzung. Ein neunundfünfzigjähriger Mann hatte Meinungsverschiedenheiten mit seinem sechzehnjährigen Sohn. Bestimmt keine große Sache. Das Ganze fand in einer Gegend der weißen Mittelschicht statt. Es war echt der erste Funkspruch, nachdem er den Wahnsinn in den Canyons hinter sich hatte.
»Ich kann mit dem Alten nicht mehr vernünftig reden«, sagte der Junge, als er Tony Puente die Tür aufmachte. »Er wird jeden Tag seniler!«
Er gehörte zu diesen typischen und sehr durchschnittlichen Sechzehnjährigen – überall Pickel und Flaum, geflickte Jeans, das übliche T-Shirt. Wirklich stinksauer auf den alten Herrn, mit dem er zusammenwohnte.
Typisch Gernegroß, den alten Herrn als Senilen zu bezeichnen, dachte Tony Puente und fragte sich, wann seine Kids ihn senil nennen würden.
Tony Puente sah sich den Mann an, der in seinem Bademantel im Wohnzimmer stand und sich im Fernsehen Alle meine Kinder oder so was anschaute. Er war neunundfünfzig und im Grunde zu jung, um senil zu sein.
Er war senil.
Er meinte: »Hallo, Sie!«, brachte ein nettes Kanönchen zum Vorschein und richtete es auf Tony Puentes schimmerndes Dienstabzeichen, das für diesen ersten Tag in Uniform sorgsam blankgeputzt worden war.
»Ich habe doch überhaupt keine Ahnung von Kanonen«, meinte Tony Puente später. »Ich habe am Anfang gedacht, das Ding sei gar nicht echt!«
Es war echt. Es war eine richtig nette Derringer, eine Magnum- Derringer. Tony Puente blinzelte durch seine Brille. Er marschierte automatisch auf das hübsche Kanönchen zu, das der Mann in der Hand hielt. Er hatte irgendwie den Eindruck, daß es immer echter wurde.
Tony Puente ging in der ganzen Zeit, in der er sich in dem Raum aufhielt, ein seltsamer Gedanke durch den Kopf. Er konnte in dieser ganzen Zeit, die scheinbar eine Stunde, in Wirklichkeit jedoch nur ein paar Minuten lang war, tatsächlich an nichts anderes denken. Er hatte während jener neunzig Tage in den Bergen nie seine kugelsichere Weste angehabt. Der Gedanke war der: Meine Frau ist stocksauer auf mich. Sie wird sagen, daß ich gestorben bin, weil ich diese verdammte kugelsichere Weste nicht angehabt habe!
»Ich halt Alle meine Kinder für eine schicke Fernsehshow«, sagte Tony Puente. »Sie auch?«
»Ich seh mir doch gar nicht Alle meine Kinder an, Sie blödes Arschloch«, erwiderte der Mann und beschrieb mit der Derringer kleine Kreise.
»Ich für mein Teil seh sehr gern Wie die Welt sich dreht«, sagte Tony Puente, der Blut und Wasser schwitzte. Und
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