Die San-Diego-Mission
fuhr mit dem Streifenwagen in südlicher Richtung über die Interstate 5 zur alten Zollstelle, als ihnen ein ziemlicher Tumult in der Nähe der Buswendestelle auffiel, wo die Ausflugsbusse aus Tijuana und die normalen Stadtbusse im allgemeinen ihre Fahrgäste loswerden. Sie konnten erkennen, daß ein paar US-Zollinspektoren in der Dunkelheit mit einer zusammengelaufenen Menschenmenge ihre liebe Last hatten.
Es stellte sich heraus, daß jemand auf der gesperrten Spur der Interstate 5 über die Grenze gefahren war. Offensichtlich hatte er geplant, sich an der Zollstelle vorbeizumogeln, und war auf der mexikanischen Spur, die lediglich für den Verkehr in südlicher Richtung bestimmt war, in Richtung Norden gefahren. Die mexikanischen Behörden hatten ihn zwar nicht aufgehalten, aber bevor er mit dem Auto auf die richtige Spur der Interstate 5 einscheren konnte, war er von den Amerikanern gestoppt worden.
Betrunken war er nicht. Er hatte auch keine Schmuggelware dabei. Er hatte einzig und allein keine Lust gehabt, die Wartezeit beim Zoll in Kauf zu nehmen. Und er krakeelte sich die Lunge aus dem Hals, wie jeder in Hörweite mitkriegte. Er war, nach den Worten von Ken Kelly, »ein echtes Oberarschloch Nummer eins«.
So verfuhr Ken Kelly genauso, wie Cops gewöhnlich bei jedem Oberarschloch Nummer eins verfahren, das eine Verkehrsübertretung begangen hat, die sie nicht selbst gesehen haben. Er suchte eine Übertretung, die er sehen konnte. Er ermittelte, daß das linke Rücklicht des Wagens kaputt war, und fing an, dem Mann einen Strafzettel auszuschreiben, wegen Nichtbestehens der Prüfung in gutem Benehmen, wie's bei den Cops so heißt.
Aber auf das Benehmen dieses Fahrers hatte das keinen Einfluß. Er tobte weiter. Er hatte eine Riesenklappe. Ken Kelly kriegte allmählich die Kopfschmerzen, die er sonst immer beim Fernsehen kriegte. Er fragte sich, ob's bei der BARF Squad je eine Chance gäbe. Er fragte sich, ob er je von solchen Arschlöchern Nummer eins wegkäme. Lieber hätte er mit Gangstern in den Canyons zu tun gehabt. Viel lieber hätte er mit Gangstern in den Canyons zu tun gehabt.
Der Mann sagte, daß er diese Vorladung wegen der Verkehrsübertretung nicht unterschreiben werde. Ken Kelly informierte ihn, daß die Unterschrift unter die Anzeige praktisch nur eine Zusage sei, der Vorladung Folge zu leisten, und keineswegs eine Anerkenntnis seiner Schuld. Der Mann meinte, daß er dennoch nicht unterschreiben werde. Dem Mann wurde klargemacht, daß man ihn eher festnehmen als von der Zusage befreien werde, der Vorladung Folge zu leisten. Der Mann unterschrieb. Er wollte dann die Unterschrift ungültig machen. Er schien dann einsichtiger zu werden. Er wollte am Ende nicht mal eine Kopie der Vorladung haben. Er schien plötzlich doch noch anderen Sinnes zu werden.
Unvermittelt änderte sich sein Benehmen auf geradezu wunderbare Weise. Es passierte derart schnell, daß Ken Kelly es nicht glauben wollte. Und es besser auch nicht geglaubt hätte. Der Mann nahm die Anzeige entgegen und fing an, sich zu entschuldigen. Er entschuldigte sich wahrhaftig überschwenglich. Er lächelte und erklärte Ken Kelly, er sei offenbar für einen Moment etwas weggetreten gewesen, und er – Ken Kelly – sei der fähigste Gesetzeshüter, der ihm je begegnet sei. Damit nicht genug, er streckte auch noch die Hand aus und sagte Ken Kelly, er sei einer der nettesten Cops, die er je getroffen habe.
Nun gibt es ja sicherlich im Leben eines jeden Polizisten Augenblicke wie diesen, in denen der Adrenalinspiegel einfach mal in Ordnung ist. In denen die Spannung mit einemmal nachläßt und man andererseits nicht weiß, ob man erleichtert oder enttäuscht sein soll. In denen alles, was einem im Leben bis dahin schiefgelaufen ist, auf unerklärliche Weise plötzlich zurechtgerückt wird. Augenblicke, kurz gesagt, in denen der eine oder andere Mitbürger einsieht, daß und was für Scheiße er gebaut hat.
Der Mann umklammerte Ken Kellys Hand und sagte: »Ich meine das ganz ehrlich. Sie sind der netteste Polizist, der mir jemals begegnet ist.«
Und Ken Kelly wollte seinen Copzynismus gerade in die Ecke stellen, wollte praktisch auf dem Absatz kehrtmachen und sagte dabei zu seiner eigenen Verwunderung, wirklich wie ein ziviles Arschloch: »Okay, ist ja schon gut. Manchmal passieren mir auch Sachen, die mir leid tun. Ist ja gut, ich möchte ja auch gerne …«
Aber der Mann hielt ihn immer noch fest und verstellte ihm den Weg, indem er
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