Die Sanddornkönigin
nett.
Die Frau an seiner Seite schaute in dieselbe Richtung, sie schüttelte den Kopf, nicht empört, eher nur ungläubig.
»Wenn es im Herbst um diese Uhrzeit schon so wild zugeht, wie ist es dann erst im Sommer?«
»Im Sommer? Da ist gar nicht genug Platz für solch extravagante Tanzeinlagen wie diese hier. Im Sommer ist Juist überfüllt. Es fängt schon auf den Autobahnen an, setzt sich auf der Fähre fort, wo du dich bei sengender Sommerhitze lieber freiwillig im überheizten Rauchersalon aufhältst, als dich in das Getümmel der urlaubswütigen Festländer an Deck zu stürzen. Und wehe, du musst noch mal nach halb zehn einkaufen, weil du zum Beispiel Margarine vergessen hast. Die Schlangen vor der Kasse sind so lang, dass du dich gleich beim Betreten des Supermarktes hinten anstellen kannst. Und vorgelassen wirst du auch nicht, gerade die Touristen knausern mit jeder Minute Zeit, die sie in ihrem Urlaub mit solch ordinären Dingen wie Schlange stehen verbringen müssen. Alles ist voll, alles ist lebendig, alles ist fröhlich, drei Monate lang. Und dann sind wir Juister wieder unter uns, bis auf ein paar Ausnahmegestalten, die aus gesundheitlichen, romantischen oder beruflichen Gründen die Insel außerhalb der Saison besuchen.«
»Wie hältst du es aus auf so einer Insel?«, fragte sie.
»Wenn du das nicht weißt, dann hast du noch nicht viel von hier gesehen.«
»Das stimmt. Alles, was ich bislang kenne, sind die Dünen. Also hohe, sandige Hügel mit Unkraut und stacheligen Büschen darauf. Die ganze Insel scheint daraus zu bestehen. Ein Auf und ein Ab, und in den kleinen Tälern sammeln sich die Juister und trinken Bier. Ich habe Sand zwischen den Zehen, schlafe heute in einer Pension, die ›Inselfreude‹ heißt, und besuche Hotelzimmer, die fast vierhundert Euro die Nacht kosten. Eine betrunkene Frau tanzt noch vor der Sandmännchenzeit mit einer Tiefseeausrüstung. Tut mir Leid, aber was kann mich hier noch erwarten, was dies alles wettmacht?«
»Du bist noch nie auf einem Strandsegler mit hundert Sachen über die brettharten Sandbänke gefegt, du hast noch nie mit einer guten Flasche Wein nachts in einem Strandkorb gesessen und das Meeresleuchten beobachtet, und du bist noch nie bei mir essen gewesen.«
»Oh? Und das soll es dann sein?« Sie zog die Augenbrauen hoch.
»Ich schwöre dir, wenn du das erlebt hast, dann willst du nie wieder woanders leben.«
»Woher willst du es wissen? Hast du es denn schon einmal woanders probiert?«
»Probiert habe ich es schon, ich kenne die exotischen Büffets auf einem karibischen Kreuzfahrtschiff, ich weiß, wie man auf Skihütten Semmelknödel mit Schweinshaxe serviert, aber am besten schmeckt es immer noch zu Hause.«
»Könnte es sein, dass dein Beruf etwas mit… sagen wir mal, Nahrungszubereitung zu tun hat?«
»Ja, das könnte man sagen, keine fünf Mark für das Sparschwein… Und könnte es sein, dass du eine verdammt gute Spürnase besitzt?«
»Ich hoffe doch. Der richtige Riecher würde meinen Inselaufenthalt sicher auf angenehme Weise verkürzen.« Er versuchte, ein enttäuschtes Gesicht aufzusetzen, sie klopfte ihm lachend auf die Schulter.
»Damit ich ein anderes Mal zum Genießen vorbeischauen kann, besser so? Ich bin übrigens Wencke.«
Ihre Hand war warm und trocken, der Griff war fest, aber nicht steif, diese Frau war einfach toll.
»Ich bin Fokke.« Sie überlegte kurz.
»Fokke Cromminga? Der Koch vom ›Dünenschloss‹? Der die Sanddornbeere salonfähig machen will?«
»Jetzt weiß ich, warum du bei der Polizei bist.«
Er wunderte sich, denn sie stand auf und zog sich die Jacke über.
»Warum gehst du? Es hat doch keine peinlichen Schweigeminuten gegeben, wir haben uns so richtig nett unterhalten, ich habe weder die frauenfeindlichen Sprüche meiner Kollegen zum Besten gegeben, noch habe ich dich mit Kochrezepten gelangweilt. Also, was ist?«
Sie kniff sich in den Oberschenkel, ziemlich kräftig sogar, sie musste sich einen richtigen blauen Fleck beigebracht haben. »Ich glaube, wenn ich hier sitzen bleibe, dann muss ich wieder auf alkoholfrei umsteigen.«
»Aus welchem Grund? Wir müssen ja nicht darüber reden, über Ronja, meine ich.«
»Wenn es das nur wäre. Ich denke, wir werden uns morgen im Restaurant wiedersehen.«
»Ich werde dich bekochen wie die Königin von Juist…«
»Nein, ich werde dich befragen wie den Zeugen der Anklage.« Sie zuckte mit den Schultern. »Es ist nun mal mein Job.«
Sie trank ihr Glas
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