Die Sanddornkönigin
Kommissarin biss in einen Apfel, den sie aus ihrem Rucksack geholt hatte. »Ich finde, die Idee klingt großartig. Warum sollte Fokke sich darüber aufregen?«
»Weil er es nie zulassen würde, dass aus seinem Feinschmeckertreff ein Laden wird, in dem sich die Gäste Essensberge einverleiben, um möglichst viel für ihr Geld zu bekommen. Wissen Sie, mein Fokke ist wirklich ein Künstler, nichts liegt bei ihm zufällig auf dem Teller, es ist alles eine wohl dosierte Liebkosung der Sinne, sowohl für den Gaumen als auch für das Auge. Ich glaube, er würde daran zugrunde gehen, für Menschen zu kochen, die sich dann die Vorspeise direkt neben den Hauptgang klatschen, um nicht zweimal aufstehen zu müssen.«
»Ist er so?«, fragte die Frau an ihrer Bettkante nachdenklich. Hilke nickte, und dann schwiegen beide für einen kurzen Moment, und Hilke konnte förmlich spüren, dass die Gedanken in dem Kopf neben ihr fast dieselben waren wie ihre.
Wie weit würde Fokke für seinen Traum gehen?
»Würde er so etwas tun?«, fragte die Kommissarin. Diese Frage schmerzte Hilke geradezu. Sie dachte an Fokke, wie er als kleiner Junge voller Stolz erzählte, dass er einer Schnecke beim Überqueren der Friesenstraße geholfen und ihr somit den sicheren Tod unter einem Fahrradmantel oder Pferdefuhrwerk erspart hatte. Und würde er heute so etwas tun?
»Fokke würde vielleicht über Leichen gehen, wenn es seinen Ehrgeiz betrifft. Aber ich kann mir einfach nicht vorstellen, dass er Ronja Polwinski mit meinen Schlafmitteln betäubt und dann im Kühlhaus jämmerlich erfrieren lässt.«
Wencke Tydmers starrte sie an.
»Woher wissen Sie das?«
»Was meinen Sie?«
»Woher kennen Sie diese Details?«
»Fokke hat es mir erzählt. Wieso?«
Sie konnte genau beobachten, wie es im Kopf der jungen Frau zu arbeiten begann.
»Weil Fokke es nicht wusste. Zumindest gestern Vormittag noch nicht. Er hat sich gewundert, warum die Spurensuche das Kühlhaus inspiziert hat. Ich habe es ihm nicht gesagt.«
Hilke spürte ein Pochen hinter ihrer Schläfe, fast wünschte sie, dieses Gespräch einfach so beenden zu können, bis hierher und nicht weiter. Denn sie befürchtete, dass die Worte sie zu einer Erkenntnis bringen könnten, die sie lieber im Dunklen lassen würde.
»Frau Felten-Cromminga, was hat Ihr Sohn Ihnen noch erzählt?«
Diese Frau drängte sie weiter, es gab kein Entkommen, kein Ohrenzuhalten. »Er hat mir eine Geschichte erzählt, die von seinem Stiefvater handelt, von unserem Hotel und von einem Mord, der nun mir in die Schuhe geschoben werden soll.«
»Ich fürchte, diese Geschichte stimmt. Ich habe gestern eine Spur verfolgt und dabei festgestellt, dass Ihr Mann und Ihr Therapeut Dr. Gronewoldt gemeinsame Sache gemacht haben.«
Obwohl sie es bereits geahnt hatte, versetzte ihr die Bestätigung des Verdachtes einen Schock.
»Wie sind Sie denn auf diese Spur gekommen?«
»Weibliche Intuition«, sagte Wencke Tydmers schlicht.
Hilke fühlte in diesem Moment, dass sie dieser Frau trauen konnte, ohne Zweifel und ohne doppelten Boden, diese Frau war ehrlich, und dieses Gefühl tat unendlich gut.
»Fokke hat mir gesagt, dass er Sie dazu überreden konnte, ein Auge auf meinen Mann zu haben und mich zu verschonen. Dass Sie eine von den Guten sind, hat er gesagt.«
Die Kommissarin lachte kurz, und es klang irgendwie bitter. »Von den Guten… Es kommt immer darauf an, aus welchem Blickwinkel man schaut.« Dann sah sie Hilke direkt ins Gesicht, und ohne Zweifel schien ihr diese Frage schwer von den Lippen zu kommen: »Frau Felten-Cromminga, versuchen Sie, objektiv zu sein, wem trauen Sie diesen Mord eher zu, Ihrem Mann oder Ihrem Sohn?«
Hilke musste nicht lange überlegen.
»Beiden.«
»Wie können wir weiterkommen?«
»Ich denke, wenn ich mit einem von beiden reden könnte, ihm diesen Verdacht auf den Kopf zusagen könnte, dann würde ich erkennen, ob er es war oder nicht.«
»Woran würden Sie es erkennen, Frau Felten- Cromminga? Woran?«
Sie zuckte schwach mit den Schultern. »Weibliche Intuition«, antwortete sie.
»Dann sollten wir es versuchen.«
Aperitif
T hore Felten stieg die drei kurzen Stufen zum Bühnenpodest empor. Seine Präsenz ließ das allgemeine Getuschel im Saal verstummen, ohne dass Felten hierzu hätte aufrufen müssen. Eine mädchenhafte Bedienung balancierte ein Tablett mit einem orangeroten prickelnden Aperitif durch die Menschengruppen, auch Sanders wurde ein Glas angeboten, doch er lehnte ab, da er
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