Die Sanddornkönigin
strahlend und schön, es zog die Aufmerksamkeit aller auf diese Frau, und Thore Felten wirkte ein bisschen blutleer neben ihr. Sein Blick verriet, dass er um Fassung rang.
Sanders erwartete, dass diese Frau zu singen begann, sie war sicherlich die Musikerin des Abends und hatte ihren Auftritt etwas zu früh gewählt.
»Vielen Dank an meinen Mann für diese warmen Worte, an dieser Stelle möchte auch ich Sie in unserem Hotel begrüßen und Ihnen einen unvergesslichen Tag sowohl kulinarischer als auch unterhaltsamer Art wünschen.« Die Menschen applaudierten.
Sanders klatschte ebenfalls. Es war Hilke Felten- Cromminga. Die Frau, nach der sie ergebnislos gesucht hatten, stand nun einfach hier, inmitten von hundert oder hundertfünfzig Menschen und hielt eine Rede, eine kleine, kurze, überaus charmante Rede. Sanders erwog nur einen kurzen Augenblick, auf die Bühne zu stürzen und sie in Gewahrsam zu nehmen. Doch dann ließ er dieser bemerkenswerten Frau ihren Auftritt, denn er vermutete, dass sie irgendetwas in der Hand haben musste, um so zu handeln. Sie war so wach, so klar bei Verstand, sie würde sich nicht zum Abschuss freigeben, wenn sie nicht irgendetwas damit bezwecken wollte. Sie war ganz anders, als Sanders es vor seinem inneren Auge gesehen hatte: keine schwache, unscheinbare Person in Grau. Sie war stark, attraktiv und lebensfroh. Sie hakte sich bei ihrem Mann unter. Dieser schien sich inzwischen mit dem Spiel abgefunden zu haben und hatte ein Lächeln auf den Lippen, wenngleich auch ein etwas gezwungenes.
»Und so erlaube ich mir, zusammen mit meinem Mann für uns alle das Glas zu erheben, es ist Champagner mit einem, na, sagen wir mal, mit dem Kuss der Sanddornbeere. Wir trinken auf Ihr Wohl, vielen Dank, dass Sie erschienen sind!«
Alle Gläser im Raum hoben sich nahezu tänzerisch für einen kurzen Moment in die Höhe, ein paar diskrete »Zum Wohle« wurden gemurmelt, dann sah er Dutzende von Lippen an den zarten, dünnen Gläserwänden nippen. Es war fast geräuschlos in dem riesigen, prunkvollen Saal, und als mit einem Mal der traurig-kreischende Klang eines Schifferklaviers ertönte, erschraken die meisten Gäste, und ein wenig Champagner wurde verschüttet.
Ein Kellner trat an die Menschen heran und wies ihnen die Sitzplätze zu. Als die Ersten sich gesetzt hatten, stellte Sanders fest, dass Thore Felten und seine Frau nicht mehr in seinem Blickwinkel waren. Er schaute sich um. Der Saal war groß, es gab ein paar Nischen und Ecken, doch nirgendwo waren die Gastgeber zu entdecken. Sanders ärgerte sich über seine eigene Unaufmerksamkeit und kam hinter seiner Säule hervor.
Auf der Bühne saß nun ein abenteuerlich aussehender Mann mit Akkordeon; Sanders versuchte, so unauffällig wie möglich zu ihm hinauf und dann hinter den dunkelblauen Vorhang zu gelangen. Da der Anblick des Musikers nicht gerade appetitanregend war, schienen sich die Augen der Gäste bereits abgewandt zu haben, vielleicht hatten sie die Ohren noch auf Empfang, doch Sanders machte keinen Lärm, und niemand bemerkte ihn. Hinter dem Vorhang war eine Tür, wie er vermutet hatte, sie war nur angelehnt, und dahinter brannte Licht. Zuerst wollte er gleich hindurchgehen, doch dann bemerkte er, dass Hilke Felten-Cromminga und ihr Mann ganz allein in diesem Garderobenräumchen zu sein schienen. Zum Glück war Thore Felten kein leiser Zeitgenosse, Sanders verstand jedes Wort.
»Du gehörst in eine Anstalt und nicht hierher. Allein schon diese Geschmacklosigkeit, in Ronjas Kleid aufzutauchen, ist doch ein Zeichen, dass du nicht mehr klar bei Verstand bist.«
»Es ist mein Kleid. Ich habe es entworfen, ich habe es genäht, es passt wie angegossen. Das einzige Mal, wo ich nicht bei Verstand gewesen bin, war, als ich es Ronja auf den Leib geschnitten habe. Ansonsten geht es mir nämlich sehr gut.«
»Schatz, du siehst wirklich fabelhaft aus.« Sanders konnte in seinem Versteck den ironischen Unterton hören.
»Nach all den Jahren traust du dich mal wieder, aus der Versenkung aufzutauchen, und meinst, alles könnte sein wie früher, als du noch jung und attraktiv warst. Da lebst du aber verdammt noch mal an der Realität vorbei, meine Liebe. Dr. Gronewoldt hat es mir wirklich dringend ans Herz gelegt, dich einweisen zu lassen, und nach deinem Auftritt vorhin bin ich mir immer sicherer, dass er Recht hat.«
»Nun tu doch nicht so, als richtest du dich nach dem, was Dr. Gronewoldt sagt. Ist es nicht viel eher so, dass er sich mit
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