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Die Sandelholzstrafe: Roman (German Edition)

Die Sandelholzstrafe: Roman (German Edition)

Titel: Die Sandelholzstrafe: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mo Yan
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ich einen mit goldenen Intarsien verzierten Lehnstuhl aus Sandelholz und einen alten, krummen Mann mit einem kleinen Zopf, der mit Seidenwatte den Staub von dem Stuhl wischte. Dabei glänzte dieser Stuhl schon so sehr, daß man sich darin spiegeln konnte. Als er mich hörte, richtete der Mann sich langsam auf, drehte sich um und warf mir einen kalten Blick zu. Bei meiner Mutter, diese tiefliegenden, teuflischen Augen waren kälter als die Klinge von Xiaojias Schlachtmesser. Xiaojia stolperte mit hastigen Schritten vor den Alten hin und sagte eilfertig und idiotisch grinsend: »Vater, das ist meine Frau. Meine Mutter hat sie mir vermittelt.«
    Der alte Mistkerl starrte an mir vorbei, und ein undifferenzierter Laut entwich seiner Kehle, dessen Bedeutung man nur erraten konnte.
    Gleich darauf trat der Kutscher zu ihm, der sich im Gasthaus von Wang Sheng direkt gegenüber den Bauch vollgeschlagen hatte, um sich zu verabschieden. Der Alte gab ihm einen Geldschein und verbeugte sich förmlich. Mit unerwartet freundlichem Tonfall sagte er: »Gute Reise, treuer Begleiter!«
    Meine Güte, dieser Alte sprach wahrhaftig in einem Beijinger Akzent, der sich kein bißchen von dem Qian Dings unterschied. Als der Blick des Kutschers auf den Wert des Scheins in seiner Hand fiel, blühte sein verbittertes Gesicht auf wie eine Blume. Er verbeugte sich einmal, zweimal, dreimal bis zum Boden, wobei er unentwegt ausrief: »Danke, Meister, danke, Meister, danke Meister!«
    Oha, dieser Alte schien wirklich ein einflußreicher Mann zu sein! Großzügig und offensichtlich wohlhabend, denn was sich da so unter seinem traditionellen Gewand wölbte, waren zweifellos dicke Packen von Papiergeld. Tausender oder Zehntausender? Egal, heutzutage kann jeder Mutter sein, der Brüste hat, und einer der Geld hat, darf getrost als Vater gelten. Also ging auch ich vor ihm in die Knie, schlug den Kopf mit lautem Knall auf den Boden und säuselte wie bei einer Theatervorstellung: »Die Schwiegertochter zollt dem Schwiegervater ihren Respekt!«
    Als Xiaojia mich so sah, ging auch er tolpatschig zu Boden, stützte sich auf seine vier Pranken, und schlug die Stirn auf. Aber außer seinem dämlichen Gewieher brachte er kein vernünftiges Wort heraus. Der Alte hatte wohl nicht mit einer so gekonnten Darbietung meinerseits gerechnet und schien für einen Moment irritiert. Er streckte seine Hände aus, erst die eine, dann die andere  – ich war verblüfft über diese Hände, was waren denn das für Hände!  –, als wolle er mir damit aufhelfen, aber er half weder mir noch seinem Sohn auf die Füße, sondern sagte bloß: »Schluß mit den Höflichkeiten. Wir sind doch eine Familie.«
    Mir blieb nichts anderes übrig, als mich ohne Hilfe zu erheben, und auch Xiaojia kam mühsam wieder auf die Beine. Der Alte führte seine Hand in Richtung Brusttasche, und ich war außer mir vor Freude, denn es machte den Anschein, als wollte er mir Geld schenken. Er fummelte ewig lang in seinem Rock herum und zog schließlich ein jadegrünes Dingsda heraus. Dann sagte er zu mir: »Ich habe gar nichts, was ich dir zur Begrüßung überreichen kann. Hier ist ein kleines Spielzeug, geh und habe deinen Spaß damit!«
    Ich nahm den Gegenstand an und sagte, ihn nachahmend: »Aber nicht doch, wir sind doch eine Familie.«
    Der kleine Gegenstand war zartgrün und lag schwer und glatt in meiner Hand. Das langjährige Zusammensein mit Seiner Exzellenz Qian hatte mir eine gewisse Kultiviertheit verschafft. Längst war ich keine ordinäre Person mehr; ich wußte, daß das, was ich in der Hand hielt, etwas Wertvolles war, nur wußte ich nicht, was es war.
    Xiaojia zog ein Gesicht und schaute beleidigt drein. Der Alte sagte lächelnd: »Beug den Kopf!«
    Xiaojia tat wie geheißen, und der Alte nahm ein mit roter Schnur umwickeltes, silbrigglänzendes langes Etwas und hängte es ihm um den Hals. Als Xiaojia es mir stolz vors Gesicht hielt, erkannte ich, daß es ein Talisman war, wie man ihn Kindern schenkt. Ich runzelte ungläubig die Stirn. Dieser Alte meinte wohl, sein Sohn sei gerade erst hundert Tage alt geworden.
    Als ich später meinem Patenonkel das Geschenk meines Schwiegervaters zeigte, erklärte er mir, daß es sich um eine wertvolle Jadeschnitzerei handelte, die zur Verzierung von Jagdbögen verwendet wird und wertvoller als Gold sei. Nur Mitglieder der kaiserlichen Familie und die Nachfahren alter Aristokratenfamilien seien im Besitz solcher Kostbarkeiten. Mit der linken Hand

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