Die Sandelholzstrafe: Roman (German Edition)
Wachposten passiert hatten, kniete ich schließlich vor Seiner Exzellenz Yuan nieder. Ich war völlig außer Atem und schweißgebadet. Ich schielte zwischen meinen fortgesetzten Kotaus zu Yuan Shikai hin, der vor Zufriedenheit strahlte. Ich dachte mir, daß eine so bedeutende Persönlichkeit wie Yuan, der in den vergangenen dreiundzwanzig Jahren so viele hohe Beamte und illustre Persönlichkeiten wie in einem Karussell vor seinen Augen hatte vorüberziehen sehen, sich kaum mehr an eine so unbedeutende Person wie mich erinnern würde. Ich meinerseits erinnerte mich sehr gut an den gutaussehenden, noch bartlosen jungen Mann, der er einst gewesen war. Er war öfters mit seinem Onkel Yuan Baoheng, damals Vizeminister des Justizministeriums, im Yamen gewesen. Wenn er nichts Besseres zu tun hatte, war er gerne in das Seitengebäude gekommen, in dem die Henker wohnten, um mit uns über dies und das zu reden. Ach, wie gut erinnere ich mich, Exzellenz, an das Interesse, das Ihr unserem Berufsstand entgegenbrachtet. Einmal sagtet Ihr sogar zu Großmutter Yu: »Großmutter, nehmt mich als Schüler an!« Die Großmutter hatte erschrocken geantwortet: »Aber Exzellenz, Ihr macht Euch über uns lustig.« Damals habt Ihr mit großem Ernst geantwortet: »Keineswegs. Wenn ein braver Mann in solch schwierige Zeiten hineingeboren wird, sollte er nicht das Beamtensiegel, sondern das Schwert zu führen in der Lage sein.«
»Großmutter Zhao, Ihr habt Eure Sache nicht schlecht gemacht.« Die Worte Seiner Exzellenz unterbrachen meinen Gedankenstrom. Der Klang seiner Stimme schien einer Glocke zu gehören, laut und wohltönend, bewegend.
Ich wußte, daß ich meine Sache gut gemacht hatte und das Tribunal des Justizministeriums wegen mir nicht das Gesicht hatte verlieren müssen. Der einzige, der in dieser Dynastie gegenwärtig in der Lage war, die Strafe der Zerstückelung auf diesem Niveau auszuführen, war ich, doch Yuan Shikai gegenüber hätte ich mich niemals damit gebrüstet. War ich doch nur ein kleiner Mensch und mir der hohen Position des Generals, der die neue Elitearmee des Kaisers leitete, vollkommen bewußt. Daher sagte ich bescheiden: »Ich habe meine Sache nicht gut gemacht. Exzellenz ist gestört worden. Ich hoffe auf Eure Großmut und Eure Vergebung.«
»Großmutter Zhao, wenn man dich reden hört, könnte man meinen, man hätte es mit einem gelehrten Mann zu tun.«
»Ich muß Euch gestehen, Exzellenz, daß ich kein einziges Schriftzeichen zu lesen imstande bin.«
»Ich verstehe«, sagte Yuan lächelnd. Unversehens war er in den Dialekt seiner Heimat Henan verfallen, und es war, als hätte er seine Amtskleidung gegen eine wattierte Baumwolljacke eingetauscht. »Steckt einen Hund zehn Jahre lang in ein Yamen, und schon redet er in Versen.«
»Das habt Ihr gut gesagt, Exzellenz, meine Wenigkeit ist in der Tat nicht mehr als ein Hund im Dienste des Justizminsteriums.«
Er brach in ein schallendes Gelächter aus. Als er sich wieder beruhigt hatte, sagte er: »Gut so, wer sein Licht so unter den Scheffel zu stellen vermag, ist ein braver Mann! Du bist ein Hund im Dienst des Justizministeriums; aber auch ich bin ein Hund im Dienst des Hofes.«
»Ich würde es niemals wagen, mich mit Euch auf eine Stufe zu stellen, Exzellenz ... Ihr seid wie Gold und Jade, ich bin ein einfacher Kieselstein ...«
»Zhao Jia, du hast mir geholfen, diese wichtige Angelegenheit zu meistern, wie kann ich mich dafür erkenntlich zeigen?«
»Meine Wenigkeit ist ein Hund, der vom Staat ernährt wird, Exzellenz, Ihr seid ein Pfeiler dieses Staates, ich stehe in Euren Diensten.«
»Das hast du ganz richtig gesagt, doch ich möchte dich dennoch belohnen.« Yuan warf seiner Leibgarde einen Blick zu und befahl: »Geht und holt zweihundert Silberstücke, die Großmutter Zhao für seine Rückkehr in die Hauptstadt mitgegeben werden!«
Ich ließ mich zu Boden fallen und machte einen Kotau. »Niemals werde ich Seiner Exzellenz die mir erwiesene Gunst vergessen, aber ich wage nicht, dieses Geld anzunehmen. Ihr habt mir bereits eine große Ehre erwiesen, indem Ihr mich eigens nach Tianjin gebeten habt.«
»Wie«, sagte Yuan kühl. »Ist es dir etwa zu wenig?«
Ich machte eilig einen weiteren Kotau und sagte: »Ich habe mein ganzes Leben lang noch niemals zweihundert Silbermünzen besessen, ich kann nicht wagen, sie anzunehmen. Wenn Euer Diener dieses Geld annehmen würde, wäre das allzu vermessen.«
Er schien für einen Moment verblüfft zu sein.
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