Die Sandelholzstrafe: Roman (German Edition)
junger Bursche ward Ihr damals. Euer Onkel wollte, daß Ihr Euch dem Studium widmet, um die kaiserlichen Beamtenprüfungen zu bestehen, doch Studieren war Eure Sache nicht. Statt dessen habt Ihr Euch fortgestohlen, um mit uns Henkern im Seitenbau herumzualbern. Ihr kanntet Euch bestens in unserem Fach aus, einmal habt Ihr sogar Euren Onkel ausgetrickst und Großmutter Yu überredet, nichts zu verraten, habt Euch das Gesicht mit Hühnerblut beschmiert und die Kleidung der Henker angelegt, um mit uns zum Richtplatz am Gemüsemarkt zu ziehen. Eigenhändig habt Ihr dort einen Verbrecher enthauptet, der es gewagt hatte, in der Gegend der kaiserlichen Mausoleen Kaninchen zu jagen, und damit die Seelenruhe der verstorbenen Majestäten gestört hatte. Ich hielt damals den Zopf dieses Mannes fest und Ihr führtet das Schwert, ungerührt und ohne zu zittern. Mit einem einzigen Hieb habt Ihr dem Mann den Kopf abgeschlagen. Als Euer Onkel später davon erfuhr, verpaßte er Euch vor unseren Augen eine schallende Ohrfeige. Wir kamen fast um vor Angst und machten einen Kotau nach dem anderen. Ihr Onkel stauchte Euch zusammen: »Dreckiger Lümmel, daß du es wagst, so etwas zu tun!« Ihr habt ihm trotzig Euren Standpunkt auseinandergesetzt: »Mein Onkel, ich bitte Euch, Euch zu beruhigen. Jemanden zu töten, um ihn auszurauben, verbietet das Gesetz des Staats. Doch einen Verbrecher töten, um das Gesetz in die Tat umzusetzen, ist ein Akt der Loyalität gegenüber dem Staat. Die Ambitionen Eures ungebildeten Neffen richten sich auf das Schlachtfeld. Wenn ich mich heute verkleidet habe, um einen Verbrecher zu exekutieren, so deshalb, weil ich mich selbst auf die Probe stellen wollte.« Dieses Argument wirkte. Euer Onkel fuhr zwar fort, Euch wütend zu maßregeln, aber wir merkten, daß er Euch fortan mit anderen Augen ansah ...
»Alter Zhao, du bist ein intelligenter Mann«, sagte Yuan Shikai lächelnd. »Es kann gar nicht sein, daß du mich nicht wiedererkennst, aber du fürchtest, ich könnte dich für alte Geschichten zur Rechenschaft ziehen. Es ist da aber nichts zu befürchten, ich habe dir nichts vorzuwerfen. Als ich damals mit meinem Onkel zum Studium im Justizministerium war, habe ich mich intensiv mit der Rolle des Henkers befaßt und nicht wenig von den Gesprächen mit euch profitiert. Die Hinrichtung damals hat mir ein völlig neues Verständnis der menschlichen Natur ermöglicht. Diese Erfahrung hat mein ganzes Leben geprägt. Wenn ich dich habe herkommen lassen, dann um dir zu danken.«
Unter zahllosen Dankbarkeitsbezeugungen schlug ich in einem fort die Stirn auf den Boden.
Seine Exzellenz Yuan sagte: »Steh auf und geh zurück in die Hauptstadt. Eine Überraschung wartet auf dich.«
5.
» Meister der Schriftkunst, Meister der Kriegsführung, Meister beider Fächer, es heißt, jede der dreihundertsechzig Berufe hat seinen Meister. Meister der Folterkunst, das sind wir, jawohl mein Sohn. Die Kaiserinwitwe hat uns den Titel verliehen. Und was aus dem goldenen Drachenmund Ihrer Majestät kommt, ist wie in Stein gemeißelt.«
Rezitativ »Die Meister«
aus der Katzenoper Die Sandelholzstrafe
Die Nachricht von der erfolgreichen Exekution in Tianjin und der Audienz, die mir Seine Exzellenz Yuan gnädig gewährt hatte, schlug im Tribunal des Justizministeriums große Wellen. Die Kollegen im Yamen betrachteten mich voller Bewunderung und Neid. Sogar die jungen Beamten, die mit ihrer offiziellen Amtskleidung unter dem Arm ins Ministerium gingen, entboten mir jetzt mit einem Kopfnicken einen stummen Gruß, wer hätte das gedacht. Das bedeutete, daß selbst diese junge Exzellenzen, hochrangige Examensabsolventen, mich mit anderen Augen ansahen. Ich würde lügen, wenn ich behauptete, daß mich diese veränderte Situation nicht mit Stolz erfüllte. Andererseits ließ ich nicht zu, daß mir der Erfolg zu Kopf stieg. Ich hatte mein Leben lang hier gearbeitet und wußte nur zu gut um die Bedeutung der Redeweise, daß nichts so heiß gegessen wird, wie es gekocht wird. Kein Baum, und sei er noch so hoch, reicht bis zum Himmel. Ein Sklave, und sei er der König unter den Sklaven, bleibt immer Eigentum seines Herrn. Am Tag nach meiner Rückkehr empfing mich Seine Exzellenz Tie, Vizepräsident des Justizministeriums, in seinem Schreibzimmer. Neben ihm saß der Generalsekretär der Abteilung, die die Oberaufsicht über die Gefängnisse hatte, Exzellenz Sun. Tie fragte mich nach jeder Einzelheit, die sich in Tianjin zugetragen
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