Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Sandelholzstrafe: Roman (German Edition)

Die Sandelholzstrafe: Roman (German Edition)

Titel: Die Sandelholzstrafe: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mo Yan
Vom Netzwerk:
wird!«

2.
    Doch zur Festnahme des Oberaufsehers kommt es nicht mehr. Denn er hat sich im Tempel vor dem Gefängnis erhängt. Seine kopflose Leiche wird wie die der getöteten Bettler in die Gasse neben dem Yamen geworfen. Als die Soldaten mich zum Gefängnis zurückschleppen, sehe ich eine Gruppe von Henkern, die ihnen auf Anweisung von Werweißwem die Köpfe abschneiden. Eine ungeheure Trauer überkommt mich, und mich plagt das Gefühl der Reue. Vielleicht habe ich doch einen Fehler gemacht und hätte besser dem Achten Zhu gehorcht, wäre unbemerkt der Strafe entkommen und hätte Yuan Shikais und Knobels Plan durchkreuzt. Um meine eigene Sache zu Ende zu bringen, um mir Nachruhm zu sichern und um der Gerechtigkeit zum Sieg zu verhelfen, habe ich den Tod mehrerer Menschen in Kauf genommen. Aber genug, weg mit den schweren Gedanken. Laßt mich den Rest dieser langen Nacht überstehen und mich für morgen wappnen.
    Der Präfekt erteilt den Befehl, mich und den Kleinen Berg an denselben Stein anketten zu lassen. In der Zelle werden drei Kerzen angesteckt, draußen hängt man Laternen auf. Der Präfekt läßt einen Stuhl bringen und setzt sich persönlich vor die Zellentür. Durch das winzige Fenster in der Tür kann ich sehen, daß hinter ihm sieben, acht Aufseher stehen, dahinter Soldaten. Der Brand in der Küche ist inzwischen gelöscht worden, aber der Geruch nach Rauch wird nicht schwächer.
    Es wird zur vierten Doppelstunde der Nacht geschlagen.
    Man hört die Hahnenschreie von nah und fern, das Licht der Laternen wird schwächer und die Kerzen sind schon halb heruntergebrannt. Ich sehe den Präfekten mit hängendem Kopf vor der Zellentür sitzen, wie ein Schößling, der Frost abbekommen hat, halb tot und halb lebendig. Die Lage sieht nicht gerade gut aus für ihn; selbst wenn er seinen Kopf retten kann, wird er mit Sicherheit seinen Beamtentitel verlieren. Ach, Qian Ding, wo ist die Pracht deiner Bankette, die Eleganz deines Auftretens hin? Was ist aus ihm geworden, dem Gelehrten, der so gern Gedichte rezitierte? Wo ist deine Gelassenheit, die dir noch eigen war, als wir um die Schönheit unserer Bärte gewetteifert haben? Präfekt, Präfekt, wir sind wie Todfeinde, die in Haßliebe einander verbunden sind und sich immer wieder über den Weg laufen. Wenn ich erst tot bin, ist es mit unserer Feindschaft wie mit unserer Freundschaft vorbei. Was wird dann aus dir?
    Kleiner Berg, ach, Kleiner Berg, man kann wirklich sagen, daß du ein guter Schüler von mir bist. Eigenhändig hast du dich verstümmelt, furchtlos bist du ins Gefängnis gegangen  – du hast dir deinen Eintrag in die Geschichtsannalen für diese Tat verdient. Warum mußtest du so stur sein und darauf bestehen, daß du Sun Bing seist? Ich weiß, daß du selbst bei einem Geständnis dem Tod nicht entgangen wärst. Aber eine Enthauptung ist doch etwas leichter zu ertragen als die Sandelholzstrafe.
    »Kleiner Bruder, warum hast du das getan?« frage ich ihn ganz leise.
    »Meister«, flüstert er, »wenn ich mir jetzt einfach nur den Kopf abhacken ließe, hätte ich mir ja die Zähne ganz umsonst ausgeschlagen.«
    »Denk doch bloß daran, wie grauenvoll die Sandelholzstrafe ist!«
    »Meister, wir Bettler sind es von klein auf gewohnt, uns selbst Leid zuzufügen. Als mich der Achte Zhu damals als seinen Schüler aufnahm, mußte ich mir mit einem scharfen Messer ins eigene Fleisch schneiden. Ich habe gelernt, den Anblick meines Blutes und den Schmerz zu ertragen. Es gibt Bettler, die sind nicht in der Lage, das Glück zu ertragen, aber es gibt keine Bettler, die das Unglück nicht ertragen können. Ich rate dir zu sagen, du seist nicht Sun Bing, dann bekommst du einen schnellen Tod. Laß mich an deiner Stelle die Folter ertragen. Es wird dennoch dein Name sein, an den man sich erinnern wird.«
    »Da dein Entschluß unerschütterlich ist, schlage ich vor, daß wir beide als Brüder Seite an Seite durch dieses Höllentor gehen. Wir werden diesen ausländischen Teufeln und ihren Kollaborateuren zeigen, aus welchem Holz die Leute von Gaomi geschnitzt sind!«
    »Meister, es bleibt uns noch ein wenig Zeit bis zur Dämmerung. Ich würde gerne die Zeit nutzen, um dir zuzuhören. Erzähle mir, wie die Katzenoper enstanden ist.«
    »Gut, Kleiner Berg, mein braver Schüler. Das Sprichwort sagt: ›Wenn der Tod nahe ist, sind die Worte weise.‹ So höre also die Geschichte der Katzenoper.«

3.
    »Zur Zeit der Ära Yongzheng lebte im Bezirk Dongbei der Präfektur

Weitere Kostenlose Bücher