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Die Sandelholzstrafe: Roman (German Edition)

Die Sandelholzstrafe: Roman (German Edition)

Titel: Die Sandelholzstrafe: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mo Yan
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Elender, du bist zum Tode verurteilt! Auf die Knie! Stehe mir Rede und Antwort!« ruft Yuan Shikai in gebieterischem Ton.
    »Ich bin wie der Bambus im Wind, lieber breche ich, als mich zu beugen. Ich bin wie die Jade im Berg, wenn sie nicht in einem Stück geborgen wird, zerspringt sie in tausend Stücke.«
    »Auf die Knie!«
    »Töte mich, auf welche Weise es dir beliebt, aber ich gehe nicht vor dir in die Knie.«
    »Sorgt dafür, daß er sich hinkniet!« brüllt Yuan Shikai wütend.
    Wie eine Horde wilder Tiere stürzen sich die Schergen auf ihn, biegen ihm die Arme nach hinten und drücken ihn mit Gewalt auf die Knie. Kaum lockern sie ihren Griff, macht er es wie ich und streckt die Füße nach vorn. Nun sitzen wir beide in gleicher Weise nebeneinander. Wenn ich den Mund aufmache, macht er auch den Mund auf, wenn ich böse starre, tut er es auch. Ich sage zu ihm, Kleiner Berg, du alter Halunke, und er sagt dasselbe zu mir. Unser nettes kleines Spiel ist so vergnüglich, daß es wider Erwarten sogar Yuan Shikais Wut zerstreut. Lachend erhebt er sich, und selbst der neben ihm sitzende Knobel lacht wie ein Volltrottel.
    »Ich bin nun schon seit so vielen Jahren im Dienst und habe die seltsamsten Sachen und die merkwürdigsten Scharlatane erlebt. Aber zwei, die darum wetteifern, zu Tode gefoltert zu werden, sind mir noch nie untergekommen.« Yuan Shikai fragt den Präfekten lachend: »Präfekt von Gaomi, du bist doch ein Mann von großer Bildung und Erfahrung, kannst du mir eine Erklärung für das alles liefern?«
    »Euer ergebener Diener hat nur sehr wenig Erfahrung. Ich hoffte, von Seiner Exzellenz einen Fingerzeig zu bekommen«, antwortet Qian Ding äußerst unterwürfig.
    »Hilf mir, zu unterscheiden, wer von den beiden wer ist. Hier sitzen zwei Männer in der Halle. Welcher von ihnen ist Sun Bing?«
    Qian Ding kommt zu uns herüber und läßt seinen Blick über unsere Gesichter schweifen. Er macht ein zögerliches Gesicht. Ich kenne diesen Präfekten. Er ist gewitzter als ein Affe. Natürlich genügt ihm ein Blick, um den echten vom falschen Sun Bing zu unterscheiden  – wozu also die Posse? Ist ihm etwa aufgrund seiner Liaison mit meiner Tochter daran gelegen, den illegitimen Schwiegervater zu schützen? Ist er vielleicht eingeweiht in das Komplott, Kleiner Berg an meiner Stelle die Sandelholzstrafe erleiden zu lassen?
    Der Präfekt mustert uns eine halbe Ewigkeit lang, dann dreht er sich zu den Generälen um und sagt: »Euer ergebener Diener muß gestehen, daß er schlechte Augen hat. Es ist ihm einfach unmöglich, die beiden voneinander zu unterscheiden.«
    »Sieh noch einmal genau hin.«
    Er kommt noch näher und betrachtet uns eingehend. Dann schüttelt er den Kopf: »Exzellenz, es gelingt mir nicht.«
    »Schau ihnen in den Mund!«
    »Beiden fehlen Zähne.«
    »Gibt es keinen Unterschied?«
    »Dem einen fehlen zwei, dem andern drei Zähne.«
    »Also? Wie viele hat Sun Bing verloren?«
    »Euer Diener kann sich nicht genau erinnern ...«
    »Knobel, der verdammte Dreckskerl, hat mir mit seinem Gewehrkolben drei Zähne ausgeschlagen!« beeilt sich Kleiner Berg einzuwerfen.
    »Das stimmt nicht, es waren zwei«, sage ich laut.
    »Präfekt von Gaomi, du wirst dich doch wohl daran erinnern, wie viele Zähne General Knobel Sun Bing ausgeschlagen hat?«
    »Exzellenz, ich kann mich wirklich nicht entsinnen ...«
    »Soll das heißen, daß du nicht in der Lage bist, den Echten vom Falschen zu unterscheiden?«
    »Meine Augen sind trübe. Ich kann es wahrhaftig nicht sagen ...« 
    »Wenn nicht einmal du uns sagen kannst, welcher der Richtige ist, dann müssen wir es wohl dabei bewenden lassen.« Yuan Shikai gibt den Schergen einen Wink mit der Hand. »Bringt sie beide in die Zelle zurück. Sie werden morgen alle beide mit der Sandelholzstrafe hingerichtet. Und du, Präfekt von Gaomi, wirst persönlich die Gefangenenaufsicht übernehmen. Wenn es irgendwelche Vorkommnisse gibt, werde ich dich zur Rechenschaft ziehen.«
    »Euer ergebener Diener ist sich seiner Verantwortung bewußt und wird sein möglichstes tun.« Qian Ding nimmt den Befehl mit einer Verbeugung entgegen. Ich kann sehen, daß er naßgeschwitzt ist. Nicht das geringste ist mehr übrig von seiner einstigen Stattlichkeit und Würde.
    »Bei dieser ganzen Komödie muß jemand aus dem Yamen seine Finger im Spiel haben.« Dieser Yuan Shikai ist jemand, der keine halben Sachen macht. »Nehmt den Oberaufseher und seine Untergebenen ins Kreuzverhör, sobald es Tag

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