Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Sandelholzstrafe: Roman (German Edition)

Die Sandelholzstrafe: Roman (German Edition)

Titel: Die Sandelholzstrafe: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mo Yan
Vom Netzwerk:
Mann in der Zelle? Du wirst wohl nicht die Fähigkeit zur Allgegenwart haben?« fragt Yuan Shikai spöttisch.
    »Das ist keine Frage der Allgegenwart. Die Frage ist, ob Ihr vielleicht Tomaten auf den Augen habt.«
    »Soldaten, Offiziere, verstärkt die Überwachung, sichert das Tor und durchsucht das gesamte Yamen gründlich. Jeder Verdächtige wird sofort hierher gebracht, ob tot oder lebendig.«
    Nachdem Yuan Shikai diesen Befehl erlassen hat, schwärmen die niederrangigen Offiziere wie die Bienen nach draußen.
    »Und du, Präfekt von Gaomi, schicke sofort deine Leute ins Gefängnis und laß den zweiten Sun Bing herholen. Ich will mich selbst davon überzeugen, wer der echte und wer der falsche ist!«
    Innerhalb kürzester Zeit sind die Soldaten zurück und bringen die Leichen von vier Bettlern und einen sterbenden Affen in die Halle. Von vier Leichen zu reden ist nicht ganz richtig. Der Achte Zhu ringt noch mit dem Tod, er murmelt vor sich hin und blutige Blasen quellen wie Chrysanthemen aus seinem Mund. Ich sitze nur einen Meter von ihm entfernt und kann das Leuchten in seinen noch offenen Augen sehen. Es sticht wie Nadeln in mein Herz. Alter Zhu, mein Bruder, wir sind seit zwanzig Jahren gute Freunde. Wie gut erinnere ich mich an die Zeit, als ich mit meiner Operntruppe in die Stadt kam, um hier zu singen! Damals hast du mich in den Tempel der Göttin eingeladen, um mit dir ein paar Becher Wein zu leeren. Du warst ein richtiger Opernnarr, kanntest selbst die längsten Arien und Rezitative in- und auswendig. Dank deiner näselnden Stimme hatte dein Gesang der Katzenoper einen ganz besonderen Charme. In der Rolle des weisen Alten warst du einfach unübertrefflich! Ach, lieber Bruder, wenn ich an die alten Zeiten zurückdenke, gerät mein Herz in Wallung, ein Lied nach dem anderen kommt mir in den Sinn ... Gerade möchte ich meinem Drang nachgeben und die Halle mit meinem Gesang füllen, da höre ich Lärm.
    Begleitet vom Geräusch der Ketten, die über den Boden schleifen, bringt eine Gruppe von Yamen-Schergen den Kleinen Berg in die Halle. Er trägt ein zerschlissenes, langes weißes Hemd, Ketten an Händen und Füßen, er ist blutüberströmt und in seinem verstümmelten Mund fehlen drei Zähne. Sein wütender Blick gleicht einem Flammenwerfer ... Er sieht mir wirklich überraschend ähnlich, nur im Mund fehlt ihm ein Zahn mehr. Ich bin überrascht und voller Bewunderung für diese abgefeimte Theaterinszenierung, die mein alter Freund Zhu hier auf die Beine gestellt hat. Wäre nicht dieser Zahn, hätte vermutlich meine eigene Mutter uns nicht auseinanderhalten können.
    »Ich erstatte Rapport. Euer ergebener Diener hat den Gefangenen Sun Bing herbringen lassen.« Qian Ding eilt nach vorn und beugt das Knie.
    Sowohl Yuan Shikai als auch Knobel machen große Augen.
    Kleiner Berg steht aufrecht und herausfordernd da, mit einem etwas idiotischen Grinsen auf dem Gesicht.
    »Was erlaubt sich der Gefangene, wirst du dich wohl hinknien!« schreit Yuan Shikai und schlägt dabei heftig mit seinem Richterholz auf den Tisch.
    »Ich bin General Yue Fei aus der Song-Zeit, wenn ich das Knie beuge, dann vor Himmel und Erde und Vater und Mutter. Warum sollte ich vor euch ausländischen Barbaren und Wildhunden in die Knie gehen?« sagt der Kleine Berg mit Vehemenz, und mit einer Stimme, die wie meine eigene klingt.
    Dieser Bursche hatte schon immer ein Talent für das Theater. Damals, als mich der Achte Zhu in den Tempel bat, um die Bettler in der Kunst der Katzenoper zu unterweisen, waren nicht viele darunter, die die Texte behalten konnten, nur der Kleine Berg begriff schnell und konnte sich alles merken, was man ihm beibrachte. Er wußte sich Eselsbrücken zu bauen, um die Texte nicht zu vergessen. Ich lehrte ihn »Das Hongmen-Bankett« und »Die Verfolgung des Han Xin«. Er hatte eine wunderbare, harmonische Artikulation, er hatte Präsenz und Sensibilität, er war wie geschaffen für das Theater. Ich wollte ihn in meine Truppe aufnehmen, um ihn zu einem professionellen Darsteller der Katzenoper zu machen, aber der Achte Zhu wollte ihn behalten, um ihn einmal zu seinem Nachfolger zu machen.
    »Wie geht's, Bruder Kleiner Berg?« grüße ich ihn und verbeuge mich höflich.
    »Wie geht's, Bruder Kleiner Berg?« echot er meinen Gruß. Mit lautem Kettenrasseln hebt er die Hände zum Gruß und verbeugt sich ebenfalls.
    Das ist ja phantastisch! Wir führen im Tribunal das Stück »Der echte und der falsche Affenkönig« auf!
    »Du

Weitere Kostenlose Bücher