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Die Sandelholzstrafe: Roman (German Edition)

Die Sandelholzstrafe: Roman (German Edition)

Titel: Die Sandelholzstrafe: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mo Yan
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oha.
Wir haben den Sandelholzstab gekocht, wir haben den Sandelholzstab ausprobiert.
Mein Vater führte mir die Hand, er ist ein großer Künstler.
Nun warten wir auf Sun Bing,
Wir wollen ihn aufspießen, mit dem Stab, mit dem Stab,
Miau, miau, miau.
Da nähern sich die Truppen mit Getöse.
Die Kanonen donnern, alles verschwimmt vor meinen Augen.
Der Tigerbart zeigt noch einmal seine Kraft,
Ich sehe keine Menschen mehr,
Nur Schweine und Hunde, Wölfe und Schlangen, Tiger und Leoparden.
    Da  – eine große Schildkröte in einer Sänfte mit acht Trägern. Das ist Yuan Shikai, der alte Halunke.
Mag sein, daß er ein Beamter ist von hohem Rang,
Aber an meinen Vater reicht er nicht heran,
Miau, miau, miau,
Miau.
    Arie »Der brave Sohn«
aus der Katzenoper Die Sandelholzstrafe

1.
    Ich öffne die Augen und sehe alles rot aufleuchten  – um Himmels willen, brennt es irgendwo? Hehe, es ist gar kein Feuer, es ist der Sonnenaufgang. Das Strohlager ist voller Flöhe, es juckt mich überall. Die frittierten Teufelchen, mit denen ich mich vollgeschlagen habe, haben mir die ganze Nacht den Bauch aufgebläht, und ich mußte ohne Unterlaß furzen. Ich sehe meinen Vater, er ist kein schwarzer Panther mehr, er ist einfach Vater. Wie er da sitzt, seine Gebetskette in der Hand, auf dem Drachenthron aus Sandelholz, ist er wirklich ein imposanter Vater, ein außergewöhnlicher Vater. Ich hätte mich auch gerne einmal auf den Drachenthron gesetzt, aber er läßt es nicht zu, er sagt, dieser Stuhl ist nicht für jedermann. Nur ein kaiserlicher Hintern darf darauf sitzen, alle anderen kriegen Hämorrhoiden. Der will mich wohl zum Narren halten  – wenn der Vater einen kaiserlichen Hintern hat, dann muß doch auch sein Sohn einen solchen haben, oder? Wenn der Vater einen solchen Hintern hat und der Sohn nicht, dann kann er nicht dessen Vater sein, und der Sohn nicht sein Sohn. Von Kindheit an habe ich die Leute sagen hören: »Ein Drache gebiert einen Drachen, ein Phönix einen Phönix, was die Ratte gebiert, fällt in ein Rattenloch, da kann man nichts machen.« Vater sitzt auf seinem Stuhl, das Gesicht halb weiß und halb rot, die Augen halb geschlossen, die Lippen in murmelnder Bewegung. Er scheint einen schönen Traum zu träumen.
    Ich sage: »Vater, ach Vater, laß mich doch einmal auf dem Drachenstuhl sitzen, bevor sie hier sind, ich möchte so gerne!«
    Er macht ein strenges Gesicht und sagt: »Das geht nicht. Jetzt noch nicht.«
    »Wann wird es endlich so weit sein?«
    »Warte, bis wir diese große Aufgabe hinter uns gebracht haben.«
    Sein Gesicht ist immer noch ganz streng. Ich weiß, daß er es nicht so meint. In Wahrheit liebt er mich, er liebt mich von ganzem Herzen. Ein so braves Kind wie mich, das muß man einfach lieben, nicht wahr? Ich stelle mich hinter ihn, schlinge meine Arme um seinen Hals, reibe mein Kinn sachte an seinem Hinterkopf und sage: »Vater, wenn du mich schon nicht auf dem Stuhl sitzen läßt, dann erzähle mir doch wenigstens eine Geschichte aus der Hauptstadt, solange sie noch nicht da sind.«
    Er sagt ungehalten: »Den ganzen Tag soll ich dir etwas erzählen. Wo soll ich so viele Geschichten hernehmen?«
    Ich weiß genau, daß er nur so verärgert tut. In Wahrheit tut er nichts lieber, als mir Geschichten aus Beijing zu erzählen. Ich sage: »Wenn du keine neue Geschichte weißt, erzähle mir doch eine alte.«
    »Was hast du davon, wenn ich dir das gleiche noch einmal erzähle? Hast du noch nie die Redensart gehört: ›Eine gute Geschichte dreimal erzählt, will selbst ein Hund nicht mehr hören.‹«
    »Macht nichts, Vater, wenn ein Hund nicht mehr zuhört. Ich höre dir zu.«
    »Du kleiner Schlawiner, bei dir ist einfach nichts zu machen.« Mein Vater prüft den Stand der Sonne und sagt: »Gut, es ist noch ein bißchen Zeit. Ich werde dir die Geschichte von Katzen-Guo erzählen.«

2.
    Ich habe keine der Geschichten vergessen, die mir Vater bisher erzählt hat, es waren insgesamt hunderteinundvierzig. Hunderteinundvierzig Geschichten sind in meinem Kopf verwahrt. Da drin gibt es eine Menge kleiner Schubladen, wie in einer Kräuterapotheke. In jeder Schublade bewahre ich eine Geschichte auf. Es gibt noch ganz viele leere Schubladen. Ich gehe alle Schubladen durch, aber eine mit der Geschichte von Katzen-Guo gibt es noch nicht. So ein Glück, eine neue Geschichte! In Erwartung der Geschichte des Katzen-Guo ziehe ich die hundertzweiundvierzigste Schublade heraus. Mein Vater fängt zu

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