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Die Sandelholzstrafe: Roman (German Edition)

Die Sandelholzstrafe: Roman (German Edition)

Titel: Die Sandelholzstrafe: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mo Yan
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der Stücke, die dein Meister selbst verfaßt hat. Alljährlich wurde die Theatersaison mit diesem Stück eröffnet. Wenn es gut ankam, dann hatten wir auch mit allen anderen Stücken Erfolg. Wenn nicht, wollte uns auch der Rest nicht recht gelingen. Du bist doch ein Landsmann aus Dongbei  – wie oft in deinem Leben hast du ›Chang Maos Trauergesang‹ gesehen?«
    »Das kann ich nicht genau sagen, wohl ein Dutzend Mal?«
    »Glich auch nur eine Aufführung der anderen?«
    »Nein, nie, Meister, es war jedesmal, als würde ich etwas völlig Neues sehen«, sagt der Kleine Berg gedankenverloren. »Ich kann mich noch genau an das erste Mal erinnern. Ich war damals noch ein kleiner Junge und trug auf dem Kopf ein kleines Katzenfell. Ihr, Meister, habt damals den Part des Chang Mao gesungen. Euer Gesang ließ die Spatzen aus den Bäumen fallen. Aber was mich am meisten faszinierte, war nicht Euer Gesang, Meister, sondern das Kind, das die Rolle der Katze spielte. Es miaute in so vielen verschiedenen Stimmen! Die Erwachsenen und die Kinder zu Füßen der Bühne waren schon nach der Hälfte des Stückes ganz aus dem Häuschen. Wir Kinder kletterten zwischen den Beinen der Großen herum und miauten. Miau, miau, miau ... Am Rande der Bühne standen drei hohe Bäume und wir wetteten, wer zuerst oben sei. Normalerweise war ich bei solchen Spielen eher zurückhaltend, aber an diesem Tag war ich so flink und behende, als ob ich mich wirklich in eine kleine Katze verwandelt hätte. Auf dem Baum saßen bereits einige echte Katzen, wer weiß, wann sie da hinaufgeklettert waren. Sie miauten mit uns im Chor. Miau, miau, miau ... Auf und unterhalb der Bühne, in der Höhe und am Boden miaute es. Männer und Frauen, Kinder und Erwachsene, echte und falsche Katzen, alle schrien sich die Kehle aus dem Leib und brachten die ungewöhnlichsten Geräusche hervor. Sie bewegten sich in einer Art und Weise, wie sie niemand für möglich gehalten hätte. Zum Schluß fielen sie schweißgebadet, tränenüberströmt und am Ende ihrer Kräfte zu Boden, wie leere Hüllen. Auch wir Katzenkinder fielen aus den Bäumen wie Steine. Die echten Katzen kletterten behende die Bäume hinunter. Ich erinnere mich gut an die letzte Zeile des Stücks: ›Ach Katze, ach Katze, ach Katze, du meine geliebte Katze ...‹ Und Ihr, Meister, habt dieses letzte Wort, ›Katze‹, schier durch die Luft gewirbelt, höher und höher, bis über die Kronen der Pappeln hinaus, und das Herz eines jeden flog mit Eurem Gesang bis in die Wolken hinauf.«
    »Mein lieber Schüler, auch du wärst in der Lage, die Hauptrolle in dieser Oper zu singen.«
    »Nein, Meister, wenn ich mit Euch auf der Bühne stünde, würde ich am liebsten die Rolle des Katzenkindes spielen.«
    Zutiefst bewegt blicke ich diesen hervorragenden Sohn Dongbeis an und sage: »Mein Lieber, du und ich, wir sind wie Vater und Sohn. Gemeinsam werden wir das zweite große Renommierstück der Katzenoper singen. Es ist ein neues Stück. Sein Titel lautet: ›Die Sandelholzstrafe‹.«

6.
    Gemäß dem uralten Brauch führt man uns in die Große Halle und läßt uns vier üppige Gerichte und einen Krug Wein bringen, außerdem einen Stapel Brotfladen und ein Bündel Schalotten. Es gibt geschmorten und gewürfelten Schweinskopf, gebratenes Huhn, Fisch, und Rindfleisch in Sojasauce. Die Fladen sind größer als ein Topfdeckel, die Zwiebel frisch und zart. Der Wein ist dampfend warm und aromatisch. Ich und Kleiner Berg, wir zwei Brüder, lächeln uns an. Der echte und der falsche Sun Bing nehmen ihre Becher hoch und prosten sich zu, daß es klirrt. Dann stürzen wir den Wein hinunter und lassen ihn dabei laut in der Kehle gluckern. Vielleicht weinen wir, weil der Wein unsere Eingeweide wärmt. Unser Sinn für Gerechtigkeit und unsere Leidenschaft wallt in uns auf. Seite an Seite stehen wir auf der Aussichtsterrasse vor dem Jenseits und blicken auf unsere Heimat. Wir werden uns in einen Regenbogen verwandeln und in den neunten Himmel aufsteigen. Dann langen wir kräftig zu. Uns fehlen die Zähne, und so schlingen wir alles einfach hinunter. Unerschrocken blicken wir dem Tod ins Auge, weil wir von heldenhaftem Geist sind. Der Vorhang öffnet sich feierlich, und das Spiel beginnt.
    Der Karren fährt die Hauptstraße entlang, und die Schaulustigen am Straßenrand grölen und lärmen. Schauspieler erhoffen sich immer ein enthusiastisches Publikum. Nichts erzeugt größeres Pathos, als auf dem Karren zum Schafott gefahren zu

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