Die Sandelholzstrafe: Roman (German Edition)
Ziegengesicht – sogar zwei Hörner habe ich auf dem Kopf. Miau, miau, jetzt kenne ich meine ursprüngliche Natur und bin maßlos enttäuscht. Mein Vater ist ein schwarzer Panther, der Präfekt ein weißer Tiger, meine Frau ist eine weiße Schlange, und ich bin ein alter Ziegenbock. Ein Ziegenbock, was soll denn das sein, das paßt überhaupt nicht zu mir.
Vater hält den Sandelholzstab in die Höhe und betrachtet ihn eingehend im Licht der Sonne, so wie ein Schmied ein soeben geschmiedetes Schwert betrachtet. Das Öl fließt wie schimmernde Seidenfäden an ihm herab. Mein Vater zieht ein weißes Tuch aus seinem Gewand und wischt den Stab damit ab. Dann nimmt er den Griff des Sandelholzstabs in die eine und die Spitze in die andere Hand und biegt die Enden kraftvoll nach unten. Der Stab bricht nicht, sondern biegt sich geschmeidig. Mein Vater läßt los und der Stab schnellt sofort in seine ursprüngliche Form zurück. Nun zieht er auch den zweiten Stab aus dem Topf und wiederholt die ganze Prozedur. Sein Gesichtsausdruck zeigt, daß er vollkommen zufrieden ist. Es kommt selten vor, daß mein Vater so zufrieden aussieht. Wenn mein Vater zufrieden ist, blühen die Blumen der Freude in meinem Herzen auf, miau, miau. Die Sandelholzstrafe ist wirklich oho, sie macht meinen alten Vater froh, miau, miau.
Vater legt die beiden Sandelholzstäbe nun auf einen kleinen Tisch in der Hütte. Er kniet sich hin und verbeugt sich mehrmals ehrerbietig vor einer Gottheit, die niemand sieht außer ihm. Dann setzt er sich auf seinen Stuhl und beschattet sich mit der Hand die Augen, um nach dem Stand der Sonne zu sehen. An gewöhnlichen Tagen habe ich um diese Zeit mein Fleisch schon verkauft und beginne mit dem Schlachten der Hunde. Nun sieht mich mein Vater an und sagt: »Mein guter Sohn, schlachte den Hahn!«
Miau, miau, miau ...
6.
Bei diesem Befehl lacht mir sofort das Herz im Leibe! Miau, miau, miau, mein lieber, lieber, lieber Vater! Endlich hat das langweilige Warten ein Ende und es geht richtig los. Aus meinem Messerkorb wähle ich ein glänzendes Entbeinungsmesser aus und halte es meinem Vater unter die Nase, damit er es sich ansieht. Er nickt. Als ich zu dem Hahn gehe, beginnt er sofort zu schreien und zu flattern, reckt das Hinterteil in die Höhe und läßt einen großen Haufen fallen. Normalerweise steht er um diese Uhrzeit irgendwo auf einem Erdhügel und kräht, doch jetzt ist er mit einer Schnur an einen Pfosten angebunden. Ich nehme das kleine Messer in den Mund und packe ihn mit den Händen. Dann stelle ich mich mit den Füßen auf seine Krallen. Vater sagte, daß wir den Hahn nicht schlachten, um ihn zu essen, sondern um sein Blut zu verwenden. Ich plaziere also eine große schwarze Schale unter seinen Hals, um das Blut aufzufangen. Der Hahn fühlt sich kochend heiß an und sein Kopf windet sich in meiner Hand. Ich klemme ihn zwischen meinen Fingern ein. Dich werde ich lehren, noch im letzten Moment aufzubegehren! Willst du mich herausfordern? Ein Schwein ist viel stärker als du und ein Hund viel wilder, und ich fürchte mich nicht vor ihnen. Meinst du also, so ein kleiner Hahn wie du kann mir Angst einjagen? Verdammter Bastard. Ich reiße ihm die Federn am Hals aus, ziehe ihm den nackten Hals lang und ziehe rasch das Messer darüber. Zuerst fließt kein Blut, und ich werde nervös. Denn ich habe gehört, daß Vater sagte: Wenn beim Töten des Hahns kein Blut fließt, ist der Hinrichtung kein Erfolg beschert. Rasch ziehe ich noch einmal das Messer durch, und nun sprudelt violettes Blut aus dem Hals des Hahns. Es läßt mich an einen kleinen Jungen denken, der morgens aus dem Tiefschlaf aufwacht und pinkelt. Psss, psss, miau, miau. Ja, das Blut fließt reichlich aus dem weißen Hahn, schnell ist die schwarze Schale voll und läuft über. Fertig, Vater, ich werfe den schlaffen weißen Hahn auf den Boden. Er ist tot.
Mein Vater gibt mir einen Wink mit der Hand. Das breite Lächeln auf seinem Gesicht läßt mich vor ihm niederknien. Er taucht seine beiden Hände in die Schüssel mit dem Blut, als wolle er, daß sie sich damit vollsaugen. Ich stelle mir vor, daß seine Hände Münder haben, mit denen sie Blut trinken können. Lächelnd sagt er zu mir: »Schließ die Augen, mein Junge!«
Wenn ich die Augen zumachen soll, dann mache ich sie zu. Ich bin ein gehorsamer Sohn. Ich halte mich an Vaters Füßen fest und stoße mit dem Kopf gegen seine Knie. Wie von selbst entfährt es mir: »Miau, miau«
Vater, Vater,
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