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Die Sandelholzstrafe: Roman (German Edition)

Die Sandelholzstrafe: Roman (German Edition)

Titel: Die Sandelholzstrafe: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mo Yan
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giftiges Herzwehkraut mit roten Stengeln und grünen Blättern zu besorgen. Kennst du dieses Kraut vielleicht? Wenn ja, dann hilf mir doch bitte beim Suchen, meine Frau ist wirklich sehr schwer krank.« Der Präfekt näherte sich uns und musterte mich mit seinen Tigeraugen von Kopf bis Fuß. Dann fragte er mich, wer ich sei, wie ich heiße und so fort, aber ich gab keine Antwort. Als ich klein war, hat meine Mutter mir eingeschärft, daß man sich stumm stellen muß, wenn man von einem Beamten etwas gefragt wird. Ich hörte, wie Chunsheng dem Präfekten ins Ohr flüsterte: »Es ist der Mann von Hundefleisch-Xishi, ein Halbtrottel ...« Ich dachte bei mir: Chunsheng, du verdammter Mistkerl, eben noch habe ich dich als meinen guten Freund bezeichnet. Nennst du so etwas vielleicht Freundschaft? Nennt ein Freund seinen Freund etwa einen Halbtrottel? Miau, miau, du Hurensohn! Wer ist ein Halbtrottel? Wenn ich ein Halbtrottel bin, dann bist du ein Volltrottel ...
    Niu Qing schießt mit einer Schrotflinte, es kommen lauter kleine Eisenkügelchen aus dem Lauf. Der Präfekt schießt mit einer Pistole ausländischen Fabrikats, aus der eine einzige Kugel herauskommt. Im Kopf des Dritten Song ist nur ein einziger, großer Einschuß. Wer, außer Qian Ding, sollte geschossen haben? Aber warum wollte Qian Ding den Dritten Song erschießen? Hat er ihm Geld gestohlen? Man darf einem Präfekten kein Geld stehlen! Wenn du dem Präfekten Geld gestohlen hast, ist es kein Wunder, daß du totgeschossen wirst! Recht so, recht so, immer hast du dich aufgespielt und geprahlt, aber mir hast du die kalte Schulter gezeigt und nicht einmal gegrüßt. Du schuldest uns noch fünf Diao, die hast du bis heute nicht zurückgezahlt. Jetzt will ich dein Geld nicht mehr, ich lasse es gut sein, ich habe mein Geld verloren und du dein Leben. Was ist wichtiger? Das Geld oder das Leben? Das Leben natürlich. Na also, dann geh mit den fünf Diao zum Höllenkönig.

4.
    Als letzte Nacht der Schuß fiel, kamen die Soldaten angelaufen wie ein Bienenschwarm. Es gab ein wildes Getümmel, bis sie den Dritten Song endlich aus dem Topf mit dem Sesamöl herausgezogen hatten. Sein Kopf roch gut. Blut und Öl tropften herunter, er sah aus wie ein karamelisierter Kürbis, miau, miau. Die Soldaten legten ihn auf den Boden. Er war noch nicht ganz tot, seine Beine zuckten noch, zuckten und zuckten wie bei einem sterbenden Huhn. Die Soldaten standen da mit großen Augen und offenen Mündern und wußten nicht, was sie tun sollten. Ein Offizier kam herbei und drängte meinen Vater und mich in die Hütte zurück, dann feuerte er einen Schuß ab. Es war das erste Mal in meinem Leben, daß jemand so dicht neben mir einen Schuß aus einem ausländischen Gewehr abfeuerte. Ich habe gehört, daß die von den Deutschen produzierten Gewehre drei Kilometer weit schießen können und ihre Kugeln selbst Mauern durchschlagen. Die Soldaten feuerten ebenfalls. Weißer Rauch stieg aus den Gewehrläufen, und Pulvergeruch hing in der Luft, wie in der Neujahrsnacht. Dann brüllte der Offizier: »Verfolgung aufnehmen!«, und die Soldaten stürmten in die Richtung, aus der der Schuß kam. Ich wollte hinter ihnen herlaufen, aber mein Vater hielt mich zurück. Diese Dummköpfe, wo laufen die denn hin? fragte ich mich. Der Präfekt ist doch bestimmt auf seinem schnellen Pferd gekommen; während ihr damit beschäftigt wart, den Dritten Song aus dem Topf zu ziehen, ist er längst wieder im Yamen. Sein Pferd ist ein Fuchs mit herrlich rotem, glattem Fell. Im Galopp gleicht es einer Flamme, schnell und kraftvoll wie ein Präriefeuer. Ja, das Pferd des Präfekten ist wie das Pferd Guan Yus, das an einem Tag tausend Meilen zurücklegen kann, ohne etwas zu fressen. Wenn es hungrig ist, frißt es Erde, wenn es durstig ist, trinkt es Wind  – so hat es jedenfalls mein Vater erzählt. Ein schönes Pferd, ein wahrer Schatz von einem Pferd  – ach, wann werde ich einmal ein solches Pferd bekommen? Zuerst würde mein Vater es reiten, erst danach wäre ich an der Reihe. Denn alle guten Sachen sind zuallererst für meinen Vater bestimmt, ich bin ja nur sein gehorsamer Sohn. Der gehorsamste Sohn von Gaomi, der gehorsamste Sohn von Caizhou, der gehorsamste Sohn von Shandong, der gehorsamste Sohn des Großen Qing-Reichs, das bin ich, miau, miau.
    Kurz nachdem die Soldaten davongerannt waren, kamen sie in Zweier- und Dreiergruppen zurück. Der Offizier sagte zu meinem Vater: »Großmutter Zhao, zu Eurer eigenen

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