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Die Sandelholzstrafe: Roman (German Edition)

Die Sandelholzstrafe: Roman (German Edition)

Titel: Die Sandelholzstrafe: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mo Yan
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Feuerkugel weißen Rauch aus. Wie Marionetten hantieren diese Wölfe und Hunde an den Kanonen, ihre kleinen Gestalten sehen sehr amüsant aus. Etwas sticht mich in die Augen und ich muß einen Moment nachdenken, bis ich merke, daß es mein Schweiß ist. Ich wische mir mit dem Ärmel über das Gesicht, und der Ärmel wird ganz rot. Das ist nicht so schlimm. Oh, jetzt sehe ich plötzlich wieder Menschen um mich! Mein Vater hat wieder das Gesicht meines Vaters, obwohl er immer noch den Körper eines Panthers hat und einen ausladenden Wildkatzenhintern mit einem langen Schwanz. Dann verwandeln sich auch die Köpfe der Soldaten wieder in menschliche Köpfe, während ihre Körper die von Wölfen und Hunden geblieben sind. Soll ich mich erleichtert fühlen? Doch der Gesichtsausdruck meines Vaters ist immer noch sehr seltsam, gar nicht menschlich! Menschlich oder nicht, er ist und bleibt mein Vater, und als er mir eben mit der Zunge über den Kopf geleckt hat, habe ich vor Glück geschnurrt, miau.
    Weitere Soldaten kommen jetzt auf den Exerzierplatz. Mitten unter ihnen ist eine mit blauem Stoff verhängte Sänfte zu sehen, vor der Wesen mit menschlichen Köpfen und tierischen Körpern hergehen, die Banner und Schirme in der Hand tragen. Die Sänftenträger haben Pferdeköpfe und Menschenkörper oder Menschenköpfe und Pferdekörper, manche sind auch halb Rind und halb Mensch. Hinter der Sänfte schreitet ein großes ausländisches Pferd her, auf dem eine seltsame Gestalt mit Wolfsgesicht und Menschenkörper reitet. Das kann nur der deutsche Generalgouverneur von Qingdao, sein, der Knobel heißt. Ich habe gehört, daß das Pferd, auf dem er ursprünglich geritten ist, von meinem Schwiegervater mit einer chinesischen Kanone in die Luft geschossen wurde, also hat er sich dieses Pferd wohl von einem seiner Untergebenen stibitzt. Hinter ihm kommen ein paar Reiter, denen ein Gefangenenkarren folgt, mit zwei Käfigen darauf. Warum sind denn dort zwei Käfige auf dem Wagen? Wer soll denn noch hingerichtet werden? Dem Karren folgt noch eine lange Reihe Soldaten, und auf beiden Seiten drängt sich eine dichte Menschenmenge, eine Traube haariger Köpfe, das Volk von Gaomi. Irgend etwas spukt in meinem Kopf herum, ich suche jemanden in dieser schwarzen Menge  – muß ich sagen, wen? Natürlich, meine Frau. Seitdem sie gestern aufgebracht über die Worte meines Vaters geflüchtet ist, habe ich sie nicht mehr gesehen. Hat sie überhaupt noch etwas gegessen, bevor sie ging? Sie ist zwar eine weiße Schlange, aber sie ist eine gütige und freundliche Schlange, wie Bai Suzhen. Wenn sie Bai Suzhen ist, dann bin ich Xu Xian. Und wer ist dann Xiao Qing? Wer ist Fa Hai? Natürlich, Yuan Shikai ist Fa Hai. Da sehe ich sie plötzlich, da ist sie, meine Frau, in einer Gruppe von Frauen. Sie hebt ihren flachen weißen Kopf und streckt ihre lange, violette Zunge heraus, und so bewegt sie sich langsam in unsere Richtung. Miau, miau, ich würde sie gerne rufen, aber mein Vater wirft mir mit seinen Pantheraugen einen strengen Blick zu und sagt, ich solle stillsitzen und den Mund halten.

7.
    Drei Kanonensalven werden abgefeuert. Dann verkündet der mit der Hinrichtung betraute Beamte, an Yuan Shikai und Knobel gewandt: »Euer ergebener Diener möchte die Exzellenzen Gouverneure darüber informieren, daß die Mittagszeit angebrochen ist. Die Identität des Verurteilten Sun Bing ist überprüft worden und der Scharfrichter ist auf seinem Posten. Wir erwarten Eure Instruktionen!«
    Der auf der Tribüne sitzende Yuan Shikai reckt seinen langen, dünnen Schildkrötenhals vor. Der Panzer auf seinem Rücken erinnert an einen großen Topfdeckel, über dem sich seine Uniform wie ein ölimprägnierter Regenschirm wölbt. Das ist doch der Schirm, den Xu Xian, als er am Rande des Sees spazierenging, der weißen und der schwarzen Schlange gegeben hat, wie kommt Yuan Shikai zu diesem Schirm? Aber das ist doch gar kein Schirm, das ist ein Schildkrötenpanzer. Wirklich lustig, daß eine Schildkröte ein hoher Beamter sein kann, miau, miau. Yuan Shikai reckt seinen Schildkrötenkopf direkt vor das Wolfsgesicht von Knobel und gibt irgend etwas in Schildkröten- und Wolfssprache von sich. Dann nimmt er eine kleine rote Flagge zur Hand und schlägt sie nach unten. Das war ein gekonnter Schlag, nichts Gewöhnliches, die Handbewegung eines Meisters. Man sieht sofort, daß das hier eine Schildkröte erster Klasse ist, gewöhnliche Schildkröten werden keine solchen hohen

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