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Die Sandelholzstrafe: Roman (German Edition)

Die Sandelholzstrafe: Roman (German Edition)

Titel: Die Sandelholzstrafe: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mo Yan
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erkennen. Mein Schwiegervater hat einen intensiven und stechenden Blick, wenn er dich ansieht, sprühen die Funken. Der Blick des falschen Sun Bing ist eher verhangen und ausweichend, als ob er Angst hätte. Irgendwie kommt er mir bekannt vor, ich muß nur noch ein wenig nachdenken, dann fällt mir schon ein, wer es ist  – natürlich, es ist einer der Bettler, Kleiner Berg, der Meisterschüler des Achten Zhu. An jedem vierzehnten Tag des achten Monats, dem Festtag der Bettler, hängt er sich zwei leuchtendrote Pfefferschoten an die Ohren und spielt ein Kupplerweib. Und heute spielt er die Rolle meines Schwiegervaters! Also ehrlich, dieser Kerl ist doch nichts weiter als ein Possenmacher.
    Mein Vater hat auch gesehen, daß es einen Verurteilten mehr gibt, aber mein Vater ist mit allen Wassern gewaschen, ein Verurteilter mehr oder zehn mehr, das ist für ihn nicht der Rede wert. Ich höre, wie er zu sich selbst sagt: »Zum Glück habe ich einen Stab mehr vorbereitet.«
    Mein Vater ist wirklich ein Hellseher, nicht einmal Zhungeiang hätte es besser gemacht.
    Aber wen spießen wir zuerst auf? Den echten oder den falschen Sun Bing? Ich suche die Antwort im Gesicht meines Vaters. Aber er sieht zu Qian Ding, dem Überwachungsbeamten hinüber, der meinen Vater mit trübem Blick ansieht, wie ein Blinder. Dieser Blick sagt meinem Vater, daß Qian Ding gar nichts sehen will. Sollen wir doch zuerst aufspießen, wen wir wollen. Der Blick meines Vaters wandert weiter, zu den beiden Verurteilten. Der Blick des falschen Sun Bing ist ebenfalls trüb und matt, der echte Sun Bing aber hat ein stolzes Leuchten in den Augen. Er nickt meinem Vater zu und ruft laut und deutlich: »Werter Verwandter, lange nicht gesehen! Wie geht's?«
    Vater lächelt über das ganze Gesicht, faltet die Hände vor der Brust, macht eine höfliche Verbeugung und sagt zu ihm: »Herzlichen Glückwunsch, werter Verwandter!«
    Strahlend erwidert mein Schwiegervater: »Danke, gleichfalls!«
    »Willst du zuerst oder der andere?« fragt mein Vater.
    »Was gibt es da zu rätseln?« sagt mein Schwiegervater vergnügt. »Sagt nicht das Sprichwort: ›Gleiche Brut versteht sich gut‹?«
    Vater antwortet nicht und nickt lächelnd. Dann ist sein Lächeln mit einemmal wie fortgewischt und seine Miene wird stählern. Er sagt zu den Schergen, die die Gefangenen eskortieren: »Nehmt ihm die Ketten ab!«
    Die Schergen zögern einen Moment und blicken sich ratlos um, als würden sie auf einen weiteren Befehl warten. Mein Vater sagt ungehalten: »Los, die Ketten!«
    In die Schergen kommt Bewegung und mit zitternden Händen schließen sie die Schlösser auf und nehmen meinem Schwiegervater die Ketten ab. Sun Bing reckt sich. Dann betrachtet er eingehend das Folterinstrument vor seinen Augen und legt sich dann brav auf den Pinienholzblock, der etwas zu klein für ihn ist.
    Der Holzblock ist schön glattpoliert, den hat mein Vater vom besten Schreiner der Präfektur sorgfältig bearbeiten lassen. Er gehört mir. Ich habe jahrelang Hunde und Schweine darauf geschlachtet, und er hat sich mit ihrem Blut vollgesogen. Er ist schwer wie Eisen, und die Schergen des Yamen, die ihn von unserem Haus hierhertransportiert haben, mußten unterwegs mindestens zehnmal Rast machen. Nachdem er sich auf den Block gelegt hat, wendet mein Schwiegervater den Kopf und fragt sehr unterwürfig: »Ist es so recht, werter Verwandter?«
    Mein Vater beachtet ihn nicht. Er bückt sich, nimmt das Seil aus Rindsleder auf und reicht es mir.
    Das lange Warten hat mich ganz nervös gemacht. Eilig strecke ich die Hand nach dem Seil aus und beginne, meinen Schwiegervater mit einer zuvor geübten Methode zu fesseln. Sun Bing sagt verärgert zu mir: »Lieber Schwiegersohn, du unterschätzt mich!«
    Mein Vater beobachtet jede meiner Bewegungen genau und mit großer Nachsicht zieht er die von mir nicht ganz korrekt gemachten Knoten noch einmal nach. Mein Schwiegervater tobt und zetert und ist überhaupt nicht damit einverstanden, daß wir ihn festbinden. Als meinem Vater sein Gezeter zuviel wird, ermahnt er ihn streng: »Werter Verwandter, nimm den Mund nicht zu voll. Bald wirst du nicht mehr wissen, was du tust.«
    Sun Bing schimpft weiter, aber inzwischen habe ich ihn gut festgebunden. Vater prüft die Knoten, und als alles so ist, wie es sein soll, nickt er zufrieden und sagt leise: »Fangen wir an.«
    Ich laufe zu meinem Korb mit den Messern hin, nehme das kleine Messer heraus, mit dem ich den Hahn getötet

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