Die Sandelholzstrafe: Roman (German Edition)
zwei mit Baumwolle umwickelte Ohrpfropfen vorbereitet, damit ich nichts mehr höre. Aber bis zu diesem Zeitpunkt hat mein Schwiegervater noch keinen Laut von sich gegeben, nur sein Atem geht schwerer und lauter als der eines Pflugochsen. Doch er schreit nicht, und noch weniger heult er oder fleht um Gnade.
Bang – bang – bang –
Miau ...
Auch Vaters Gesicht ist schweißüberströmt, obwohl mein Vater doch einer ist, dem niemals der Schweiß ausbricht, miau. Seine Hände zittern ganz leicht, er wirkt etwas beunruhigt. Wenn ich ihn so sehe, werde auch ich konfus. Miau, denn eigentlich wünschen wir uns gar nicht, daß Sun Bing die Zähne zusammenbeißt und keinen Ton von sich gibt. Bei der Probe mit dem Schwein haben wir uns an dessen verzweifelte Schreie gewöhnt. In den zehn Jahren meiner Karriere als Metzger habe ich nur ein einziges Mal ein stummes Schwein geschlachtet. Es war so unheimlich, daß mir die Hand schwach wurde und die Beine versagten. Ich hatte zwei Wochen lang Alpträume, in denen ich ständig ein grinsendes Schwein vor mir sah. Schwiegervater, Schwiegervater, nun schrei doch endlich, schrei, ich bitte dich! Miau, miau, aber er macht keinen Mucks. Meine Hand fühlt sich an wie entzündet, die Beine zittern, mein Kopf schwillt an, und alles verschwimmt mir vor den Augen. Schweiß läuft mir über das Gesicht und mir wird schlecht von dem Geschmack des mit Schweiß vermischten Hühnerbluts. Der Kopf meines Vaters hat sich wieder in den eines schwarzen Panthers verwandelt, auf seinen schönen Händen sprießt schwarzes Fell. Auch der Körper meines Schwiegervaters ist von einem schwarzen Pelz überzogen und sein riesiger Bärenkopf geht auf und ab. Sein Körper wirkt jetzt riesenhaft und riesenhaft sind seine Kräfte. Das Rindslederseil ist dünn und so straff gespannt, als könnte es jeden Moment reißen. Da gleitet mir der Hammer aus und trifft die Pfote meines Vaters. Er schreit auf und läßt den Stab los. Auch der nächste Schlag sitzt nicht, er ist zu fest. Der Stab dreht sich und zeigt nach oben, offensichtlich ist er schief eingedrungen und hat Sun Bings Eingeweide verletzt. Frisches Blut läuft am Stab hinunter. Da höre ich, wie Sun Bing einen schrillen Schrei ausstößt, miau, miau, ein Schrei so fürchterlich, wie ich kein Schwein je habe schreien hören. Aus Vaters Augen sprühen Funken. »Vorsicht!« sagt er leise.
Ich wische mir mit dem Ärmel über das Gesicht und hole tief Luft. Während Sun Bing immer lauter schreit, komme ich zur Ruhe. Die Hand tut mir nicht mehr weh, meine Beine sind wieder stabil, der Kopf ist nicht mehr angeschwollen, und ich kann wieder klar sehen, miau, und auch das Gesicht meines Vaters ist wieder das alte. Sun Bings Kopf ist kein Bär mehr, sondern ein Mensch. Ich sammele meine Kräfte und fahre fort, auf den Stab einzuhämmern: bang – bang – bang ...
Miau, miau ...
Sun Bing brüllt ohne Unterlaß, sein Schreien übertönt alle anderen Geräusche. Der Stab ist wieder in der vorschriftsmäßigen Position, und dringt weiter und weiter durch seine inneren Organe hindurch in meinen Schwiegervater ein, tiefer und tiefer ...
Arrgh ... ohhh ... uhhh ... ahhh ...
Miau, miau ...
In seinem Körper entsteht ein lautes Rumoren, wie das Gekreische wildgewordener Katzen. Diese Geräusche irritieren mich. Habe ich mich verhört? Seltsam, wirklich seltsam, im Bauch meines Schwiegervaters stecken Katzen. Ich habe das Gefühl, schon wieder die Nerven zu verlieren, aber ich muß nur meinen Vater anschauen und werde wieder ruhig. Je wilder Sun Bing schreit, desto heiterer scheint Vater zu werde. Rührend ist er. Ein Lächeln liegt auf seinen Lippen, seine Augen sind nur noch kleine Schlitze. Er wirkt überhaupt nicht wie ein grausamer Foltermeister, sondern eher wie ein Mann, der seelenruhig seine Pfeife ausklopft und sich eine Operndarbietung anhört, miau, miau ...
Schließlich kommt die Spitze des Sandelholzstabs an Sun Bings Schulter wieder zum Vorschein und beult dort sein Hemd aus. Ursprünglich hatte mein Vater geplant, den Stab zu Sun Bings Mund herauskommen zu lassen, doch da es sich um jemanden handelt, der gerne Opern singt, hat er es sich anders überlegt. Ich zücke das kleine Messer und schneide an der Schulter ein Loch in den Stoff. Vater gibt mir einen Wink, weiterzumachen. Ich nehme also den Hammer wieder hoch und schlage noch ein paarmal kräftig zu, miau, miau, bis der Stab Sun Bing ganz durchdrungen hat und die beiden
Weitere Kostenlose Bücher