Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Sandelholzstrafe: Roman (German Edition)

Die Sandelholzstrafe: Roman (German Edition)

Titel: Die Sandelholzstrafe: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mo Yan
Vom Netzwerk:
herausstehenden Enden gleich lang sind. Er schreit in einem fort, ohne daß seine Stimme auch nur ein bißchen schwächer wird. Vater inspiziert beide Enden des Stabes eingehend und stellt fest, daß nur wenig Blut daran klebt. Ein Ausdruck großer Zufriedenheit macht sich auf seinem Gesicht breit und ich höre ihn einen langgezogenen Seufzer ausstoßen. Ich tue es ihm gleich und seufze lang und tief.
    Miau ...

9.
    Unter Anleitung meines Vaters tragen vier Schergen des Yamen den Holzblock mit meinem Schwiegervater darauf mit äußerster Vorsicht von der Bühne zur Plattform hinauf, die höher ist als das höchste Dach der ganzen Kreisstadt. Die Plattform liegt direkt neben der Hütte. Man hat eine lange Rampe aus Holzscheiten und Planken errichtet, damit man bequem hinaufgelangt. Doch die vier kräftigen Männer haben alle Mühe, den Holzblock hinaufzuschleppen und keuchen und stöhnen unter der Last. Sun Bing brüllt ohne Unterlaß, aber seine Stimme ist bereits heiser und sein Atem kurz geworden. Vater und ich folgen den Schergen die Rampe hinauf. Die Plattform ist aus frischen Holzbohlen gezimmmert, die noch einen angenehmen Harzgeruch verströmen. In der Mitte der Fläche steht ein dicker Pinienholzstamm mit einer quer darauf genagelten Platte von etwa einem Meter Länge. Es sieht fast aus wie das Kreuz der Christen, das ich einmal in der Kirche in Beiguan gesehen habe.
    Die Schergen setzen Sun Bing vorsichtig ab und stellen sich, in Erwartung weiterer Befehle, an den Seiten auf. Vater befiehlt mir, Sun Bing die Fesseln aufzuschneiden. Kaum sind die Fesseln gelöst, bäumt er sich auf und schlägt wild um sich; sein Rumpf jedoch bleibt durch den Sandelholzstab, der in ihm steckt, kerzengerade. Um zu vermeiden, daß er seine Kräfte allzu sehr verausgabt und durch seine jähen Bewegungen die inneren Organe geschädigt werden, weist mein Vater die vier Schergen an, Sun Bing zu binden, die Beine am unteren Ende des Stammes, die ausgestreckten Arme rechts und links an den Enden des Querholzes. So steht er auf der Plattform und kann nur noch den Kopf bewegen. Unaufhörlich stößt er wüste Beschimpfungen aus: »Knobel, du dreckiger Hurensohn ... Yuan Shikai, du stinkende Ratte ... Qian Ding, du elender Schinder ... Zhao Jia, du Bestie in Menschengestalt ... verflucht seid ihr, fickt eure Mütter ...«
    Schwarzes Blut strömt aus seinem Mund und läuft über seine Brust.
    Miau, miau ...

10.
    Als wir die Rampe hinuntergehen, hebe ich den Kopf und sehe mich um. Das Herz zieht sich mir heftig zusammen und mir stockt der Atem. Miau ...
    Um den Richtplatz herum ist alles schwarz von Menschen, die gleißende Sonne glänzt auf ihren Köpfen. Das kann nur daran liegen, daß alle schweißnaß sind, deshalb dieser Glanz. Sun Bings Verwünschungen schwirren mit den Tauben durch die Luft. Alle können sie hören. Deutsche und chinesische Soldaten schirmen die Plattform von der Menge ab, sie stehen da wie Zaunpfosten, kerzengerade und reglos. Mir kommt ein Gedanke, miau, man kann sich denken, was es ist, oder? Ich suche mit den Augen die Menge ab. Ah! Da ist sie, ich habe meine Frau entdeckt. Zwei kräftige Frauen halten sie an den Armen fest, eine dritte Frau hält sie von hinten an der Taille gepackt, so daß sie nur auf der Stelle treten kann. Plötzlich kann ich ihre, wie hellgrüne Bambusblätter so spitzen, gellenden Schreie hören.
    Die Schreie meiner Frau beunruhigen mich. War sie nicht einmal der liebste Mensch, den ich auf der Welt hatte? Sogar am Tage durfte ich an ihrer Brust saugen. Wenn ich an ihre Brüste denke, stellt sich mir mein kleiner Zipfel auf, miau, miau. Ich muß daran denken, wie sie zu mir gesagt hat: »Hau ab, geh doch zu deinem Vater ins Zimmer, meinetwegen kannst du dort verrecken!« Als ich nicht gegangen bin, hat sie mir einen Fußtritt verpaßt ... Sie hat mich oft schlecht behandelt, aber sie hat auch ihre guten Seiten. Wenn ich daran denke, brennen mir die Augen und ich bekomme ein Stechen in der Nase, miau, miau, ich habe das Gefühl, gleich in Tränen auszubrechen.
    Ich laufe schnell die Rampe hinunter. Ich will zu meiner Frau, zu meiner Frau! Ich will ihr die Brüste streicheln und ihren Geruch einsaugen. In meiner Tasche habe ich noch ein Malzbonbon, das schenke ich ihr. Doch eine glühendheiße Hand hält mich zurück  – Vaters Hand. Ja, ich weiß, es gibt noch einen zweiten Verurteilten, der auf uns wartet. Ein weiterer ölgesättigter, wohlriechender, glatter Sandelholzstab. Vater

Weitere Kostenlose Bücher