Die Sandelholzstrafe: Roman (German Edition)
pfeifen es von den Dächern: »Die Qing sind nicht mehr die Qing, ein Sturm beutelt das Land, General Yuan Shikai wird schon der Cao Cao von heute genannt.« Große Qing-Dynastie, du nährst eine Schlange an deinem Busen! Yuan Shikai, du perfider Verräter! Du hast mein Volk massakriert, um die Rechte ausländischer Kolonialisten zu schützen, hast dir deren Gunst mit dem Blut deiner Landsleute erkauft. Du befehligst eine mächtige Armee. Jetzt wartest du nur noch auf den richtigen Moment, um zuzuschlagen. Längst liegt das Schicksal der Großen Qing-Dynastie in deiner Hand. Kaiserinwitwe, Kaiser, laßt Euch die Augen öffnen! Merkt Ihr denn nicht, was hier vor sich geht? Wenn Ihr Eure Hoffnung auf ihn und seine Armee setzt, wenn ihr von ihm die Lösung der Probleme des Reichs erwartet, werden die Errungenschaften der Großen Qing-Dynastie binnen kürzester Zeit Geschichte sein ... Hand aufs Herz – auch ich bin in Wahrheit kein absolut loyaler Beamter. Es fehlt mir der Mut, für die gerechte Sache zu sterben, die Loyalität, den betrügerischen Minister zu ermorden. Obwohl ich von klein auf die Klassiker studiert habe und versiert bin in der Fechtkunst und den Kampfkünsten, besitze ich nicht den Mut eines Sun Bing und nicht die Rechtschaffenheit eines Bettlers wie Kleiner Berg. Ich bin ein Jasager, ein Erfüllungsgehilfe, ein Weichling, der stets den Kompromiß sucht, um Ärger zu vermeiden. Mal gebe ich mich stolz und entschlossen, und dann wieder hänge ich mein Fähnchen in den Wind, ein Konformist bin ich, ein Mann ohne Rückgrat. Vor den kleinen Leuten spiele ich mich auf, und vor den hohen Funktionären katzbuckle ich und sage zu allem Ja und Amen. Schamlos, das bin ich. Nichtsnutziger Präfekt Qian Ding von Gaomi, du lebst und bist doch nur eine lebende Leiche. Selbst der Kleine Berg, der sich aus Angst vor dem Tod auf der Schlachtbank in die Hose gemacht hat, ist dir tausendfach überlegen. Da du nicht den Mumm hast, wirklich Verantwortung zu übernehmen, mußt du eben weiterleben als Knecht, abgebrüht und apathisch, dich zu einem Hund machen und brav deine Aufgabe als Überwachungsbeamter einer Exekution erfüllen.
Ich reiße mich zusammen, höre auf ins Leere zu starren und sehe nun deutlich den Kopf, den der Henker Zhao Jia in der Hand hält, höre seine hochmütigen Worte und werde mir bewußt, daß ich etwas tun muß. Ich laufe eiligen Schrittes zur Ehrentribüne, hebe meinen Rock an, schwinge die Ärmel zurück und beuge ein Knie. Dann sage ich mit getragener Stimme zu dem Verräter und dem Räuber, die dort sitzen: »Die Strafe ist ausgeführt, Ihre Exzellenzen mögen sich davon überzeugen!«
Yuan Shikai und Knobel stecken die Köpfe zusammen und tuscheln miteinander, Knobel lacht fröhlich auf. Sie erheben sich und gehen am Rande der Bühne entlang, bis sie vor mir stehen.
»Steh auf, Präfekt von Gaomi!« sagt Yuan Shikai mit eisiger Stimme.
Ich gehe hinter ihnen her bis zur Plattform. Der schwere und muskulöse Yuan und der hagere Knobel schreiten betont langsam nebeneinander her wie Gans und Reiher. Mit gehorsam gesenktem Kopf folge ich ihnen, ohne sie aus den Augen zu lassen. In meinem Stiefelschaft steckt ein Dolch. Wenn ich nur halb soviel Schneid wie mein kleiner Bruder hätte, könnte ich beide im Bruchteil einer Sekunde erledigen. Als ich seinerzeit allein in die Festung gegangen bin, um Sun Bing zu verhaften, war ich vollkommen kaltblütig; jetzt, wo ich hinter diesen beiden Mächtigen hergehe, bin ich völlig verängstigt. Vor dem einfachen Volk spiele ich das wilde Tier, aber vor meinen Vorgesetzten und den Ausländern bin ich ein Schaf. Nein, nicht einmal an ein Schaf reiche ich heran. Ein Schafsbock hat immerhin Hörner, mit denen er kämpft, ich dagegen habe nur ein Hasenherz.
Wir kommen vor dem tapferen Sun Bing zu stehen, dessen Gesicht ganz angeschwollen ist. Aus seinem Mund fließt Blut, seine Augen sind nur noch schmale Schlitze. Da ihm einige Zähne fehlen, sind seine Flüche etwas undeutlich, aber immer noch gut zu verstehen. Mit markigen Worten beschimpft er Yuan Shikai und Knobel und versucht, ihnen dabei blutigen Speichel ins Gesicht zu spucken. Doch offensichtlich reicht seine Kraft dafür nicht aus und er produziert nur Schaumblasen vor seinem Mund wie ein kleines Kind. Der Schaum schwappt aus seinem Mund wie aus einer Krabbenhöhle. Yuan Shikai nickt zufrieden und sagt: »Präfekt von Gaomi, laßt, gemäß der zuvor vereinbarten Belohnung, Zhao Vater und Sohn
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