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Die Sandelholzstrafe: Roman (German Edition)

Die Sandelholzstrafe: Roman (German Edition)

Titel: Die Sandelholzstrafe: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mo Yan
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muß den Mund nicht aufmachen, um es mir zu sagen, seine kleine Hand sagt mir alles. Seine Stimme hallt mir in den Ohren wider: Mein Sohn, du bist dabei, eine große Aufgabe zu vollenden, laß dich nicht ablenken. Wegen einer Frau darf man den Dienst an Kaiser und Vaterland nicht vernachlässigen, das ist nicht erlaubt, das kostet dich den Kopf. Ich habe dir schon so oft gesagt, daß wir in unserer Rolle, sobald wir uns das Gesicht mit Hühnerblut beschmiert haben, keine gewöhnlichen Menschen mehr sind und uns das Leiden gewöhnlicher Sterblicher nichts mehr angeht. Wir sind Werkzeuge des Kaisers, wir das fleischgewordene Gesetz. Wie kann es dir einfallen, zu deiner Frau hinzulaufen, um ihr ein Malzbonbon zu schenken? Selbst wenn ich dir das erlauben würde  – Seine Exzellenz Yuan und General Knobel wären noch lange nicht damit einverstanden. Hebe den Kopf und schaue auf die Bühne, auf der dein Schwiegervater eben seinen Auftritt hatte  – sehen die hohen Funktionäre, die dort sitzen, nicht alle wie wilde Tiger und Wölfe aus?
    Tatsächlich, Yuan Shikai und Knobel haben stahlblaue Gesichter, ihre Augen sind wie Feuer, ihre Blicke brennen sich in meinen Körper. Schnell senke ich den Kopf und folge meinem Vater zur Hinrichtungsbank. Doch im Innern spreche ich weiterhin mit meiner Frau: Weine doch nicht, Frau. Dein Vater war kein guter Vater. Hast du mir nicht selbst einmal erzählt, daß du von einem Esel gebissen wurdest und er dich nicht beschützte? So einem Vater geschieht es nur recht, wenn er auf einen Sandelholzstab aufgespießt wird. Wenn er so ein guter Vater wäre wie meiner, dann hätte man guten Grund zu weinen, wenn sie ihn mit einem Sandelholzstab aufspießen. Für einen Vater wie Sun Bing aber ist jede Träne zuviel vergossen. Du meinst vielleicht, er leidet Schmerzen, wenn er so aufgespießt ist, aber nein, in Wirklichkeit ist es eine große Ehre für ihn. Eben noch hat er freundlich mit meinem Vater Höflichkeiten ausgetauscht, miau, miau.
    Qian Ding steht immer noch da wie zuvor, seine Augen blicken scheinbar geradeaus, doch ich weiß, daß er gar nichts sieht. Der Überwachungsbeamte für die Hinrichtung soll das sein! Ein nutzloser Pimmel ist das, reine Dekoration, sonst gar nichts. Als ob wir auf seinen Befehl warten müßten! Wir erledigen unsere Sache auch ohne ihn, Vater und ich. Wenn auf einmal zwei Sun Bings angekarrt werden, dann wird die Sandelholzstrafe eben zweimal ausgeführt. Den echten Sun Bing haben wir bereits erfolgreich auf der Plattform installiert, auch wenn mir ein paar kleine Fehler unterlaufen sind, wie ich am Gesichtsausdruck meines Vaters ablesen konnte. Beim ersten Mal hat alles geklappt, was soll beim zweiten Mal schiefgehen? Zwei Schergen bringen den von Sun Bing befreiten Holzblock über die Rampe herunter auf die Bühne, zur Schlachtbank. In gelassenem Ton sagt mein Vater zu den Schergen, die den falschen Sun Bing in Gewahrsam haben: »Nehmt ihm die Ketten ab.«
    Die Schergen nehmen dem falschen Sun Bing die Ketten ab. Anders als der echte Sun Bing schüttelt dieser nicht erst seine Gliedmaßen, sondern sackt sofort wie eine weichgewordene Kerze in sich zusammen. Er ist kreidebleich im Gesicht, seine Zunge ist noch bleicher, ja, er sieht aus wie verwittertes Fensterpapier. Seine Augen sind wie zwei flatternde, weiße Motten. Die Schergen stoßen ihn zum Schlachtblock. Dort sinkt er wie ein Haufen Dreck zu Boden.
    Mein Vater heißt sie, ihn auf den Holzblock zu legen. Er zuckt am ganzen Körper. Vater gibt mir das Zeichen, ihn festzubinden. Flink und geschickt mache ich mich ans Werk. Ohne auf den Befehl meines Vaters zu warten, nehme ich das kleine Entbeinungsmesser, ziehe seine Hose wie ein Zelt in die Höhe und mache einen runden Schnitt  – um Himmels willen, das ist ja widerlich  –, ein furchtbarer Gestank kommt mir entgegen. Der Kerl hat sich bereits in die Hose gemacht.
    Mein Vater zieht die Brauen zusammen und bringt den Sandelholzstab in Stellung. Ich nehme den Holzhammer zur Hand und mache mich bereit, doch der Gestank ist so gräßlich, daß ich den Hammer fallen lasse und davonlaufe wie ein Hund bei der Begegnung mit einem Stinktier. Mit strenger, aber gedämpfter Stimme ruft mein Vater hinter mir her: »Xiaojia, komm zurück!«
    Sein Rufen läßt mich wieder meiner Verantwortung bewußt werden. Ich halte in meinem Lauf inne und kehre in einem großen Bogen zu ihm zurück. Dem falschen Sun Bing sind offenbar schon die Eingeweide geplatzt,

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