Die Sandelholzstrafe: Roman (German Edition)
dieser pestilenzartige Gestank kann unmöglich von normalen menschlichen Aussscheidungen herrühren. Aber was kann ich machen? Vater hält bereits den Stab fest und wartet darauf, daß ich mit dem Hämmern beginne. Was wird aus diesem Körper noch herauskommen, wenn wir den Stab weiter hineintreiben? Mein Vater hat mir immer wieder eingetrichtert, wie wichtig unsere Aufgabe ist, ich weiß, daß ich hierbleiben und den Hammer schlagen muß, selbst wenn tödliche Geschütze aus diesem Hintern herausschießen. Aber dieser Gestank ist noch viel furchtbarer als Gewehrkugeln. Mir dreht sich der Magen um und mir steigt die Galle hoch. Hab Mitleid mit mir, Vater! Wenn ich mit dieser Hinrichtung fortfahren muß, fürchte ich, den Erstickungstod zu sterben, bevor noch der Stab durch ihn durch ist ...
Der Himmel hat ein Einsehen. Im letzten Moment läßt Yuan Shikai, der auf der Bühne eingeschlafen schien, Gnade walten und befiehlt, den Kleinen Berg zu enthaupten. Mein Vater legt den Sandelholzstab zur Seite und runzelt die Stirn. Er hält den Atem an, entreißt mit einer schnellen Bewegung einem Schergen ein Schwert und waltet seines Amtes. Mit einer Kraft und Behendigkeit, die man von einem Mann seines Alters nicht erwartet hätte, läßt er das Schwert niedersausen. Ein kurzes helles Aufblitzen – und einen Wimpernschlag später rollt der Kopf des Kleinen Bergs, des falschen Sun Bing, über den Boden.
Kapitel 18:
Qian Ding, Meister der Poesie
»Der Sandelbaum wächst weit weg, in den fernen Bergen,
Im Herbst blüht er blutrot.
Schlank und gerade ist sein Stamm, hoch wie ein Turm,
Er ist der Herr der Bäume, der Held des Waldes.
Man sagt, ein Sandelmund bringt den zarten Gesang einer Schönen hervor,
Das Lied des Phönix, das Zwitschern der Schwalbe, den Ruf des Pirols.
Man sagt, der Liebhaber des Sandels sei zärtlich, von schönem Antlitz,
Erst wenn man ihm Früchte hinwirft, steigt der Schöne aus seiner Kutsche.
Man sagt, daß Sandelhölzer einen klaren, melodiösen Klang besitzen,
Im Birnengarten singen die Jünger von Frieden und Harmonie.
Man sagt, wo ein Sandelholzwagen ist, sind die stolzen Kriegspferde nicht weit,
Was zur Zeit der Qin der Glanz des Mondes, war bei den Han der Soldat.
Man sagt, der Duft des Sandelholzes umweht den Klang der Lauten,
Der Fürst von Wu, der kluge Feldherr, schützte die leere Stadt.
Man sagt, daß die Essenz des Sandels der Freund Buddhas ist,
Freude, Edelmut und Güte, angehäuft für das jenseitige Leben ...
Doch wer hat schon einmal gehört, daß man mit Sandelholz einen Menschen pfählte?
Eine solch unmoralische Strafe prägt die letzten Tage unserer Dynastie.«
»Arie von klassischer Eleganz«
aus der Katzenoper Die Sandelholzstrafe
1.
Der Kopf des Kleinen Bergs fällt zu Boden und plötzlich ist die Sonne blutrot. Der alte Zhao Jia hebt den Kopf und setzt seine gespielte, erhabene Miene auf, einfach widerwärtig, es wird einem übel davon! Dieses Ungeheuer, gegen das jeder Hund menschlich ist, wendet sich zu mir, hält den bluttriefenden Kopf des Bettlers hoch und sagt: »Die Strafe ist ausgeführt. Ich bitte Seine Exzellenz, sich davon zu überzeugen!«
Ich tobe innerlich, vor meinen Augen hängt ein roter Nebel, in meinen Ohren dröhnt der Kanonendonner, und dann dieser allgegenwärtige Blutgeruch, dieser ekelhafte Gestank! Großes Kaiserreich der Qing, dem Zerfall anheimgegeben, soll ich dich aufgeben, oder soll ich mich für dich opfern? Ich zögere, weiß nicht, was ich tun soll, ich bin verzagt; um mich herrscht Trostlosigkeit. Aus zuverlässigen Quellen weiß ich, daß die Kaiserinwitwe und der unter Hausarrest stehende Kaiser bereits nach Taiyuan geflohen sind. Tiger und Wölfe beherrschen Beijing, und im Kaiserpalast und in den heiligen kaiserlichen Tempelanlagen veranstalten die Truppen der Acht Alliierten Mächte Freudengelage. Verdient eine Regierung, die ihre Hauptstadt den Plünderungen durch Ausländer überläßt, überhaupt noch ihren Namen? Und die Elitetruppen Yuan Shikais, deren Ausbildung den Staat zehntausende Pfund Silbergeld gekostet hat, kümmern sich nicht etwa um die Verteidigung der Hauptstadt und halten die Plünderer auf, sondern sie sind hier in Shandong und machen gemeinsame Sache mit den ausländischen Teufeln gegen unser tapferes Volk. Die Ambitionen der ausländischen Wölfe sind doch eklatant: »Die Absichten des Sima Zhao sind jedem wohlbekannt«, sagte schon Kaiser Wei, bevor Sima Zhao ihn umbrachte. Die Spatzen
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