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Die Sandelholzstrafe: Roman (German Edition)

Die Sandelholzstrafe: Roman (German Edition)

Titel: Die Sandelholzstrafe: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mo Yan
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dieses Gefangenen war groß wie ein Weidenkorb und der »Riegel des Höllenkönigs« eigentlich zu klein dafür. Es kostete uns eine gehörige Portion Kraft, ihm das Ding aufzusetzen, schließlich waren wir keine professionellen Reifenschneider. Seine Exzellenz Wang wurde langsam ungehalten. »Für zweihundert Pfund Silbergeld habt ihr mir ein so unbrauchbares Spielzeug gebastelt?«, fragte er spöttisch.
    Mir wurde ziemlich unbehaglich, als ich das hörte. Großmutter Yu bewahrte halbwegs die Fassung, doch danach gestand er, daß auch er sich zu Tode geängstigt habe. Diesmal gelang das Schauspiel jedoch zur Zufriedenheit, zwei volle Stunden lang waren wir zugange und ließen den großköpfigen armen Teufel leiden, was das Zeug hielt, bis er tot zusammenbrach. Wir hatten es geschafft, Seiner Exzellenz ein Lächeln abzuringen. Mit einem Blick auf die beiden Leichen in der Richthalle befahl er: »Geht zurück, bringt euer Instrument wieder in Ordnung und wechselt die Lederriemen aus. Wascht den Eisenreifen gut ab und bringt ihn auf Hochglanz. Und seht euch bloß eure Uniformen an  – wascht sie gefälligst gründlich sauber, um Seiner Majestät und dem ganzen Hofstaat zu zeigen, wie elegant die Scharfrichter des Justizministeriums aussehen können. Merkt euch: Allein der Erfolg zählt, ein Versagen wird nicht geduldet. Wenn ihr euch auch nur den geringsten Fehler zuschulden kommen laßt und den Ruf unseres Ministeriums beschmutzt, dann werdet ihr es sein, denen der ›Riegel des Höllenkönigs‹ aufgesetzt wird.«
    Am nächsten Tag erhoben wir uns nach dem zweiten Hahnenschrei und machten uns an die Vorbereitung. Zur Ausführung einer Todesstrafe vor dem Kaiser bestimmt, und das in einer solch schwerwiegenden Angelegenheit, wer hätte da ruhig schlafen können? Selbst mein mit allen Wassern gewaschener Chef, Großmutter Yu, wälzte sich unruhig auf seinem Kang hin und her; im Stundentakt stand er auf, um den Nachttopf zu benutzen und sich eine Pfeife anzustecken. Zweite Tante und Kleine Tante machten Feuer unter dem Herd, um zu kochen, und ich, dein Vater, inspizierte zum wiederholten Mal den »Riegel des Höllenkönigs«, um mich davon zu überzeugen, daß es keinerlei Scherereien geben würde, bevor ich ihn zu einer letzten Revision an die Großmutter übergab. Großmutter Yu tastete den »Riegel« Zentimeter um Zentimeter ab, setzte ihn sich probeweise auf und wickelte ihn schließlich in drei Ellen rote Seide ein, bevor er ihn respektvoll der Statue des Gottes der Foltermeister präsentierte. Gao Tao, der Schutzpatron unseres Gewerbes, stammt von einem heiligen Geschlecht aus der Zeit der Drei Erhabenen Urherrscher und der Fünf Urkaiser ab und war ein großer Held, der beinahe den Thron des Großen Yu beerbt hätte. Alle unsere Gesetze und Strafen wurden von ihm festgelegt. Nach den Worten meines Mentors, Großmutter Yu, brauchte Gao Tao kein Schwert, um jemanden zu töten. Er mußte nur den Blick auf den Nacken eines Delinquenten richten, und schon fiel dessen Kopf zu Boden. Gao Tao hatte den Blick eines Phönix, fein geschwungene Augenbrauen, ein Gesicht roter als Datteln, Augen leuchtend wie Sterne, und von seinem Kinn sproß ein schöner, dreigeteilter Bart. Er glich aufs Haar dem berühmten General Guan Yunchang aus der Zeit der Drei Reiche. Deshalb pflegte Großmutter Yu auch zu sagen, General Guan sei in Wirklichkeit eine Reinkarnation des großen Gao Tao gewesen.
    Wir nahmen ein paar Bissen zu uns, spülten den Mund aus, putzten die Zähne und wuschen uns das Gesicht. Die Zweite und die Kleine Tante halfen Großmutter Yu und mir, deinem Vater, in unsere brandneuen Uniformen zu schlüpfen. Dann setzten wir unsere leuchtendroten Filzmützen auf. Kleine Tante machte uns Komplimente: »Meister und Schüler, was seid ihr für hübsche Bräutigame!«
    Großmutter Yu hatte für so viel Geschwätzigkeit nur einen geringschätzigen Blick übrig. Es gehört zu den ungeschriebenen Gesetzen unseres Metiers, daß man sich vor und während einer Hinrichtung weder Scherze noch Albernheiten erlaubt. Ein falsches oder unpassendes Wort kann böse Geister heraufbeschwören. Am Fuß eines Hinrichtungspodiums auf dem Marktplatz kann man häufig dicht am Boden einen kreisenden Wirbelwind beobachten. Was glaubt ihr wohl, was das ist? Nichts anderes als der Rachegeist eines Hingerichteten.
    Großmutter Yu entnahm seinem Weidenkorb einige kostbare Sandelholzstäbchen, hielt drei davon sachte zwischen den Fingern, entzündete

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