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Die Sandelholzstrafe: Roman (German Edition)

Die Sandelholzstrafe: Roman (German Edition)

Titel: Die Sandelholzstrafe: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mo Yan
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dich und deinen Lehrling. So könnt ihr euch mit ganzem Herzen und peinlicher Sorgfalt dieser Aufgabe widmen. Von jeher war es üblich, die Bestrafung der Palasteunuchen, die sich eine Verfehlung geleistet hatten, dem Strafministerium zu überlassen. In diesem Fall aber hat Seine Majestät das Justizministerium mit der Angelegenheit betraut, ein Präzedenzfall in der Geschichte! Das zeigt, wie sehr Seine Majestät unser Ministerium schätzt und welch übergroßes Wohlwollen uns zuteil wird. Ihr müßt mit doppelter Sorgfalt arbeiten. Wenn der Kaiser zufrieden ist, steht alles zum besten. Doch wenn ihr eure Arbeit ungenügend macht, den Zorn des Kaisers provoziert und den Ruf unseres Ministeriums ruiniert, dann werden eure Köpfe den Hunden zum Fraß hingeworfen werfen!«
    Vor Angst zitternd, nahmen Großmutter Yu und ich diesen ehrenvollen Auftrag an. Wir ließen uns das Silbergeld ausbezahlen und suchten die Gasse der Schmiede auf, die südlich des Tempels der Schutzgöttin des Landes lag. Dort fanden wir einen geeigneten Schmied, dem wir einen Entwurf vorlegten, nach dem er den eisernen Kopfreif für den »Riegel des Höllenkönigs« anfertigen sollte. Dann begaben wir uns in die Gasse der Maultiere und Pferde, um ungegerbtes Rindsleder zu kaufen. Davon ließen wir Lederbänder machen, die an dem eisernen Kopfreifen befestigt werden sollten. Alles in allem gaben wir nicht einmal vier Pfund Silbergeld aus, so daß uns nach Abzug aller Kosten hundertsechsundneunzig Pfund weißglänzendes Silber blieben. Zwanzig Pfund verwendeten wir für ein Armband, das wir in der Straße der Guten Geister für die Konkubine Seiner Exzellenz in Auftrag gaben. Es blieben hundertsechsundsiebzig Pfund. Sechs teilten sich die Zweite und die Kleine Tante. Großmutter Yu bekam hundert, und mir, deinem Vater, verblieben die restlichen siebzig. Dank dieser Summer konnte ich in die Heimat zurückkehren, dieses Haus kaufen und deine Mutter heiraten. Hätte also der Palasteunuch Kleiner Wurm nicht das Gewehr Seiner Majestät gestohlen, hätte ich, dein Vater, niemals genug Geld gehabt, um in die Heimat zurückzukehren, und schon gar nicht, um ein Haus zu kaufen und deine Mutter zur Frau nehmen zu können. Und ohne eine Frau hätte ich dich, meinen Sohn, nicht bekommen und selbstverständlich auch nicht dich, meine Schwiegertochter. Versteht ihr jetzt? Deshalb erzähle ich euch die Geschichte vom Kleinen Wurm. Alles hat seine Wurzeln. Der Fall des Kleinen Wurm ist also die Wurzel eures Daseins.
    Am Vorabend der geplanten Exekution wurde Seine Exzellenz Wang nervös. Er befahl, einen zum Tode verurteilten Häftling aus dem Gefängnis in die Richthalle bringen zu lassen, damit wir an ihm den »Riegel des Höllenkönigs« ausprobieren konnten. Großmutter Yu und ich, euer Vater, befestigten den »Riegel des Höllenkönigs« auf dem Kopf des unglücklichen Häftlings. Er schrie verzweifelt: »Exzellenz, Exzellenz, ich habe doch ein Geständnis abgelegt! Ich habe doch alles gestanden, warum foltert Ihr mich noch?«
    Der Minister antwortete entschieden: »Alles für den Kaiser! Fangt an!«
    Die Exekution ging rasch und leicht vonstatten, es dauerte  – sagen wir  – nicht länger, als eine Pfeife zu rauchen. Dann war der Häftling tot, sein Schädel zertrümmert.
    Seine Exzellenz Wang war jedoch nicht zufrieden. »Diese Methode ist grausam genug«, sagte er, »aber der Tod tritt viel zu schnell ein. Seine Majestät hat uns die Ehre seines Vertrauens erwiesen, damit wir eine Folter anwenden, bei der Kleiner Wurm vor den Augen aller Palasteunuchen leiden soll. Es geht darum, ein Exempel zu statuieren. Man darf sich nicht damit begnügen, das Eisen anzulegen und den Tod herbeizuführen. Das ging ja schneller, als ein Karnickel zu strangulieren. Wie stellt ihr euch das vor? Mein Ministerium erwartet von euch, daß ihr für einen möglichst langsamen Foltertod sorgt. Mindestens zwei Stunden muß es dauern, und es muß spannender sein als eine Operndarbietung. Ihr wißt, daß der Hof zahllose Schauspieltruppen mit einigen tausend Schauspielern unterhält. Sie haben längst das gesamte Opernrepertoire des Landes von vorne bis hinten durchgespielt. Kleiner Wurm muß ordentlich der Schweiß ausbrechen, und auch euch muß die Brühe laufen, sonst wird die ganze Inszenierung eine einzige Blamage für uns.«
    Seine Exzellenz Wang befahl, einen anderen zum Tode verurteilten Häftling aus dem Kerker zu holen, um noch ein weiteres Mal zu üben. Der Kopf

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