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Die Sandelholzstrafe: Roman (German Edition)

Die Sandelholzstrafe: Roman (German Edition)

Titel: Die Sandelholzstrafe: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mo Yan
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Händen, die Ihre Majestät die Kaiserinwitwe mir persönlich überreichte, und ich bitte um Vergebung, daß ich in Eurer Gegenwart nicht das Knie beuge.«
    Nach diesem Satz hob er die Kette aus Sandelholzperlen mit beiden Händen in die Höhe, als wäre sie so schwer wie Eisenkugeln.
    Seine Exzellenz Qian wich einen Schritt zurück, schwang seine Hufeisenärmel zurück, beugte die Knie und schlug den Kopf zum Kotau auf den Boden. Mit hoher Stimme rief er: »Euer ergebener Diener Qian Ding, Präfekt von Gaomi, wünscht Ihrer Majestät der Kaiserinwitwe ein langes Leben!«
    Nachdem er ihr mit allem gebotenen Respekt gehuldigt hatte, erhob er sich wieder und sagte: »Es ist nicht meine Wenigkeit, die sich um die Dienste der Großmutter bemüht, es ist der Provinzgouverneur von Shandong, Seine Exzellenz Yuan Shikai, der Euch um Hilfe bittet.«
    Mein Vater schenkte dem Präfekten keine Beachtung, ließ seine Gebetskette durch die Finger gleiten und hielt nach dem Gecko an der Decke Ausschau. »Herr Präfekt«, sagte er dann. »Der Sessel aus Sandelholz, auf dem dieser einfache Mann des Volkes sitzt, war ein Geschenk des Kaisers. Gemäß der Etikette des Hofes gebietet die Gegenwart seines Objekts den gleichen Respekt wie die Gegenwart Seiner Majestät!«
    Das Gesicht Seiner Exzellenz Qian wurde röter als das dunkle Rot des Sandelholzes. Er mußte sich offenbar mühsam beherrschen, um sich seine Wut nicht anmerken zu lassen. Ich dachte bei mir: Vater, nun geht Ihr zu weit. Nun habt Ihr den Präfekten schon einmal vor Euch niederknien lassen und damit die Ordnung von Himmel und Erde durcheinandergebracht, wie könnt Ihr ihn noch ein zweites Mal zum Kotau auffordern? Ihr solltet wissen, wann es genug ist. Meine Muter sagte immer: Der Kaiser ist der höchste Herr, aber er ist weit weg. Der Präfekt ist nur eine kleiner Herr, doch er ist nah. Unter jedem beliebigen Vorwand kann er unsereins Galle schlucken lassen. Vater, Seine Exzellenz Qian ist wahrhaft kein harmloser Zeitgenosse. Habe ich Euch nicht erzählt, daß er dem Kleinen Kui beide Beine hat brechen lassen, nur weil er seine Sänfte bespuckte?
    Der Präfekt fragte eisig: »Hat Seine Majestät der Kaiser je auf diesem Sessel Platz genommen?«
    Mein Vater erwiderte: »Am 18. Tag des 12. Mondes des Jahres 1899, in den kaiserlichen Gemächern des Palasts der Güte und des langen Lebens, nachdem die Kaiserinwitwe vom Hauptverwalter des Hofes von meinen Taten gehört hatte, brach sie mit der Gewohnheit und erwies mir, dem einfachen Mann des Volkes, die Ehre einer Audienz. Sie überreichte mir eine Gebetskette und hob damit seine niedrige Existenz auf eine höhere Stufe, ließ ihn die Sphäre des Weltlichen verlassen und ein Buddha werden. Dann sprach der Kaiser selbst zu mir: ›Wir haben nichts, was wir dir zum Geschenk machen könnten. Doch wenn es dir nicht zu beschwerlich ist, dann trage diesen Sessel mit dir fort.‹«
    Ein sarkastisches Lächeln glitt über das verdüsterte Gesicht Seiner Exzellenz. »Ein kleiner Beamter wie ich ist von geringem Talent und bescheidenem Wissen, doch hat er die klassischen Schriften wohl studiert. Noch niemals in der Geschichte hat es einen solchen Kaiser gegeben, der seinen eigenen Drachenthron einem anderen überlassen, geschweige denn einem Henker zum Geschenk gemacht hätte. Großmutter Zhao, Ihr wagt euch weit vor mit Euren Lügen! Geht Ihr hier nicht etwas zu weit mit Eurer Kühnheit? Warum sagt Ihr nicht gleich, der Kaiser hätte Euch sein ganzes Reich zum Geschenk gemacht? So viele Jahre lang habt Ihr das Schwert im Justizministerium geführt. Ihr müßtet mit den Gesetzen dieses Reiches vertraut sein. Daher bittet Euch dieser kleine Beamte, ihm ein wenig auf die Sprünge zu helfen: Welche Art von Strafe steht auf eine falsche Behauptung bezüglich einer angeblichen Schenkung eines der heiligen Objekte aus dem Besitz des Kaisers, kurz gesagt, auf die Verbreitung von Gerüchten über die Kaiserinwitwe und den Kaiser? Zerstückelung bei lebendigem Leib oder Zweiteilung? Die Auslöschung der ganzen Familie?«
    Mein guter Vater, warum müßt Ihr Euch so früh am Tage aufführen wie ein Verrückter? Heißt das nicht, eine riesige Katastrophe heraufbeschwören? Ich war vor lauter Angst wie von Sinnen, ließ mich eiligst auf die Knie fallen und flehte um Gnade. Ich sagte: »Euer Exzellenz Qian, mein Vater hat Euch schwer beleidigt. Zieht ihm die Haut ab und werft ihn den Hunden zum Fraß vor, um diesen Frevel zu vergelten, aber meine

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