Die sanfte Entfuehrung des Potsdamer Strumpftraegers
rein«, sage ich.
»Das ging aber flott«, sagt er. »Wie haben Sie das geschafft?«
»Anscheinend proben ein paar Kunden bei mir im Laden den Aufstand. Sie behaupten, unser Gemüse sei genmanipuliert. Und sie haben eine Demonstration gestartet.«
»Herrje. Ist das nicht geschäftsschädigend?«, fragt er besorgt.
Ich winke ab.
»Die Kunden werden sehr schnell die Lust verlieren. Es waren Durchreisende, die niemand kennt.«
»Das ist aber mysteriös«, sagt Herr Jauch.
»Finde ich auch, Herr Jauch. Wie hätten Sie Ihr Zimmer denn nun gerne eingerichtet?«
»Ich habe es schon aufgezeichnet«, sagt er und präsentiert mir eine Skizze auf einem Blatt Löschpapier, das er in einem der Comichefte gefunden hat.
Dienstag, 21.45
Wo ist ein Porträtmaler, wenn man einen braucht? Herr Jauch hat uns, nachdem wir sein Zimmer auf Vordermann gebracht hatten, zu sich eingeladen. Er und Herr Müller sitzen in den beiden verbliebenen Sesseln, Katja und ich liegen rücklings auf dem Boden, die Arme hinter den Köpfen verschränkt, und starren an die Decke. Geredet haben wir seit einer Stunde nicht. Wir hören Platten. Und zwar nicht irgendwelche Platten. Raritäten. Und nicht mit irgendeinem Plattenspieler. Das Gerät ist älter als ich, wahrscheinlich sogar älter als Herr Jauch. Es ist erstaunlich, was man so alles im Keller herumstehen hat. Man sieht einfach zu selten nach.
Nachdem wir sein Zimmer auf Vordermann gebracht hatten – das sagt sich so schnell. Hat schon seine Zeit gedauert. Sechs Stunden, um genau zu sein. Auf Katjas Wundermittel haben wir bei der Reinigung verzichtet, ansonsten kam alles verfügbare Reinigungsmaterial zum Einsatz.
Schon recht bald, als wir noch beim Ausmisten der alten Möbel waren, kam Annettes Entwarnungsanruf. Etienne habe die Sache wohl etwas aufgebauscht, meinte sie. Aber besser war es, dass sie vorbeigeschaut habe, er sei völlig aufgelöst gewesen und habe sich Sorgen um den Ruf des Ladens und ihres Gemüsemanns gemacht. Ein guter Junge, der Etienne, meinte sie, lieber zu viel Engagement als zu wenig. Ich konnte ihr da nur zustimmen.
Ein bisschen später hat Herr Jauch beim Herumstöbern in den Kellerregalen die Hinterlassenschaften von Herrn Müllers Großeltern entdeckt. Ab da war er zu nichts mehr zu gebrauchen, und wir haben um ihn herum geschleppt, verstaut und oben eingeräumt. Als Herr Müller und ich dann gerade das Korkenfass die Kellertreppe hinunterhievten, hörten wir ihn, über vergilbte Dokumente gebeugt, wehklagen:
»Es ist eine Schande!«
»Was ist eine Schande?«, presste Herr Müller unter großen Anstrengungen heraus. Er musste das Fass unten tragen.
»Dass ich Ihre Großeltern nie in Stern TV hatte. Das ist alles sehr interessant.«
»Ich glaube, sie hätten sich gefreut«, keuchte Herr Müller, der einem Hexenschuss nahe schien und aus allen verfügbaren Poren transpirierte.
»Es ist eine Schande«, rief Herr Jauch wieder, als wir das Fass endlich in einer Ecke abgestellt hatten, wo es wohl für die nächsten vierzig Jahre bleiben wird, um allmählich einzusinken.
»Was denn diesmal? Haben Sie seine SS -Uniform gefunden?«, fragte Herr Müller. Keine Ahnung, ob es ein Scherz war.
»Nein, das hier«, sagte Herr Jauch. »Eine Schande, dass das hier verstaubt. Es muss bespielt werden.«
Er drehte den verdreckten, ockergelben Koffer in unsere Richtung und zeigte uns sein Innenleben: einen Plattenspieler.
»Das ist ein original ZIPHONA -Kofferplattenspieler!«, jubelte er fast. »Vom VEB RFT Funkwerk Zittau. Echte, robuste DDR -Ware. Aus den Fünfzigern!«
Seine Augen leuchteten. Dass sich Herrn Müllers und meine Begeisterung über seinen Fund zunächst eher in Grenzen hielt – »Na und?«, steuerte ich nur bei –, schien ihn etwas zu verstimmen.
»Banausen!«, sagte er, klappte den Koffer zu, klemmte ihn sich unter den Arm und stieg nach oben.
Erst als später der erste Ton erklang, ließen wir uns von seiner Euphorie anstecken.
Und nun machen wir Plapa. Plattenparty. Neben dem historischen Musikspieler hat Herr Jauch unter dicken Schichten Plastikfolie auch eine ganze Palette angestaubter Schallplatten gefunden. Herrn Müllers Großeltern scheinen große Jazz- und Swing-Liebhaber gewesen zu sein. Wir hören »Too Marvellous for Words« von Frank Sinatra. Ich schließe die Augen.
Mittwoch, 7.30
Irgendwann in der Nacht bin ich auf dem Gästezimmerboden wieder aufgewacht, habe nur noch den schlafenden Herrn Jauch vorgefunden und bin ins Bett
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