Die sanfte Entfuehrung des Potsdamer Strumpftraegers
gegangen. Es war ein sehr ausgefüllter Tag für uns alle. Das sind doch die schönsten Tage, nach denen man sich nicht stundenlang in den Schlaf wälzen muss, sondern einfach vor Erschöpfung gar nicht anders kann, als sofort in Tiefschlaf zu versinken. So wie man von Kindern sagt »Die werden heute Nacht gut schlafen«, wenn sie stundenlang die Wasserrutsche hochklettern und runterrutschen oder anderen sinnlosen körperlichen Aktivitäten nachgehen. Der beste Schlaf ist der nach dem munteren Spiel. Punkt.
Als ich am nächsten Morgen die Küche betrete, stehen Katja und Herr Müller eng nebeneinander am Küchenfenster und starren gebannt und fasziniert nach draußen. Die frühe Sonne steht tief und bescheint sie sanft. Sie schirmen die Augen mit den Händen ab. Ich sehe ihnen eine Weile dabei zu. Im Radio singt Lou Reed, Perfect Day. Diese Szene müsste eigentlich komplett in Sepia getaucht werden, um ihrer inneren Schönheit in all ihrer Banalität gerecht zu werden.
»Was macht ihr da?«, begrüße ich sie.
»Pscht!«, macht Katja. »Das musst du gesehen haben. Schau mal, was Herr Jauch draußen macht.«
Der ist auch schon wach? Ich stelle mich neben sie, und wir sehen gemeinsam nach draußen.
»Was macht er da?«, frage ich nach vielleicht einer Minute Beobachtung.
»Wir haben keine Ahnung«, sagt Herr Müller.
Günther Jauch schreitet unsere Wiese ab. Im Stechschritt. Er macht große Schritte mit durchgestreckten Beinen. Mit einer Pickelhaube auf dem Kopf könnte er vor dem preußischen König patrouillieren. Jetzt dreht er sich gerade wieder um neunzig Grad nach rechts und schreitet weiter. Er macht fünf Schritte, dreht sich wieder um neunzig Grad und geht wieder weiter, diesmal länger. Irgendwann dreht er sich wieder, ich habe die Schritte nicht gezählt.
»Das macht er schon seit zehn Minuten«, sagt Katja. »Er geht im Kreis.«
»Er geht eher im Quadrat«, berichtigt Herr Müller sie.
»Genau genommen im Rechteck«, berichtige ich beide. »Zwei Seiten sind eindeutig länger als die anderen.«
»Er misst irgendwas ab«, sagt Herr Müller.
»Vielleicht tut ihm die Landluft doch nicht so gut«, meint Katja.
»Wir sollten ihn einfach fragen«, beschließe ich.
Wir begeben uns nach draußen und warten aus Höflichkeit ab, bis er uns bemerkt. Dann fragen wir ihn, was er da tut.
»Sie haben hier«, er breitet die Arme aus, »einen so großen Garten. Eine ebene Wiese. Und Sie machen nichts draus! Was man da alles draus machen könnte.«
»Was denn zum Beispiel?«, fragt Herr Müller.
»Da muss man nicht Tine Wittler sein, damit einem was einfällt. Sie könnten ein Gartenhaus bauen. Oder – also mal ganz egoistisch gedacht, weil so ein Gartenhausbau dauert ja eine Weile, und Absperrband haben Sie sicherlich: ein Federballfeld.«
Ich sehe Katja und Herrn Müller nicht an, aber ich kann mir gut vorstellen, dass auf ihren Gesichtern der gleiche ratlose Ausdruck liegt wie auf meinem.
»Sie werden ja wohl einen Federball haben! Und Schläger. Irgendwo im Keller, da findet man doch alles, wie wir wissen.«
In der sich ausbreitenden Stille hört man eine der Kühe aus dem Stall muhen. Ich glaube, es ist Helene.
»Ich geh mal nachsehen«, sagt Herr Müller irgendwann, und die Gegenüberstellung scheint beendet. Er trottet ins Haus und sucht nach Federballutensilien.
»Mal was ganz anderes, Herr Jauch«, sagt Katja. »Was haben Sie denn da eben abgeschritten?«
»Das ist nichts anderes, Katja«, erkläre ich ihr. »Das waren die Maße eines Federballfelds.«
»Um genau zu sein, Badminton«, erklärt Herr Jauch. »Ich glaube nicht, dass Federball an sich olympisch ist oder dass es ein genormtes Feld dafür gibt.«
Katja wird einen Moment sehr nachdenklich.
»Was ist denn der Unterschied zwischen …«
»Ich brauche noch einen Kaffee«, sagt Herr Jauch und geht an uns vorbei ins Haus.
Mittwoch, 9.20
Als es um die Mitspielerwahl geht, wird es schwierig. Jeder will natürlich mit Herrn Jauch zusammen spielen. Er ist der Star. Ob er nun sportlich was drauf hat oder nicht, ist eher nicht so entscheidend. Irgendwann mal wird man erzählen können, dass man damals mit Günther Jauch zusammen in einem Team Federball gespielt hat. Und da kommen dann keine Nachfragen, ob man gewonnen oder verloren hat, die Information über den Teampartner bringt einem schon genug Respekt ein. Vielleicht auch die Randbemerkung, dass das legendäre Federballspiel im Rahmen einer wasserdicht aufgezogenen Entführung
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