Die sanfte Entfuehrung des Potsdamer Strumpftraegers
Meilenstein in ihrer aufkeimenden Beziehung. Das war’s.
»Frau Rottenbauer lässt übrigens die liebsten Grüße ausrichten, Paul«, sagt Annette.
»Danke«, sage ich, »zurück«, und stehe auf. »Ich muss mal dringend wohin. Der ganze Kaffee.«
Anklopfen wäre verdächtig, sollte man es noch in der Küche hören, also marschiere ich einfach ohne Ankündigung ins Gästezimmer. Herr Jauch zuckt zusammen, als er mich eintreten sieht, entspannt sich dann aber schnell.
»Sind die immer noch da?«, flüstert er.
Ich nicke.
Er hat einen unserer ausgemusterten Sessel von Gerümpel befreit und ihn Richtung Fenster gedreht. Darin sitzt er jetzt, die Beine auf drei übereinandergestapelten Pappkartons abgelegt.
»Sieht ja ganz gemütlich aus«, flüstere ich.
»Ist es auch«, flüstert er zurück. »Ich kann es schon noch eine Weile aushalten. Spätestens, seit ich das hier gefunden habe.«
Er deutet auf einen Haufen alter Comichefte, die neben dem Sessel liegen.
»Mit Asterix bei den Schweizern bin ich schon durch. Jetzt ist Asterix bei den Briten dran. Vielleicht kriege ich ganz Europa durch, wenn Ihre Freunde noch ein bisschen länger bleiben.«
»Ich habe auch Tim und Struppi«, sage ich.
»Ein Glas Wasser wäre mir lieber«, sagt er. »Ansonsten fühle ich mich pudelwohl. Ich muss nur aufpassen, nicht zu laut zu lachen.«
»Ist sowieso nicht sehr hellhörig bei uns.«
»Gute alte Bausubstanz.«
»Ich bringe Ihnen dann gleich was zu trinken.«
»Dankeee«, sagt er und hält sich das Heft vors Gesicht. Mein Signal, wieder an den Pärchentisch zurückzukehren.
»Tssss, diese Römer«, flüstert er ins Heft hinein, als ich die Tür von außen schließe.
Zurück in der Küche sind Herr Müller und der Gemüsemann im Begriff, mit Schnaps anzustoßen. Noch wird eingeschenkt. Das ging aber schnell. Kaum bin ich ein paar Minuten aus dem Raum, schon steht der bissige Finne auf dem Tisch, Herrn Müllers Lieblingsschnaps. Gibt es nur zu ganz besonderen Gelegenheiten. Entweder die beiden haben rausgefunden, dass sie weitläufig verwandt sind beziehungsweise zusammen im Knabenturnverein waren, oder Herr Müller feiert mehr so für sich selbst unser geglücktes Projekt, und der Besuch des Gemüsemanns dient ihm als willkommener Vorwand, die Flasche öffnen zu können. Ich tippe auf Letzteres.
Katja und Annette scheinen sich in der kurzen Zeit ebenfalls sehr gut angefreundet zu haben, Annette hat einen Tischtennisball im Mund und spricht von Katja vorgegebene Worte nach. Professionelle Sprecherziehung ist das wohl. Sie beachten mich gar nicht.
»Haukachnchuche«, sagt Annette.
»Maultaschensuppe«, sagt Katja.
»Haukachnchuche.«
»Fast gut«, sagt Katja.
»Auf dein Wohl«, sagt der Gemüsemann und hebt Herrn Müller das überreichlich befüllte Schnapsglas entgegen. Da wird etwas daneben gehen, sie können überhaupt nicht so vorsichtig anstoßen, dass nichts daneben geht.
»Skull«, sagt Herr Müller. Sie stoßen an. Die Gläschen schwappen über, sie machen sich nichts draus und kippen das widerliche Zeug in sich hinein.
Der Gemüsemann keucht ein bisschen, nachdem der bissige Finne in ihm verschwunden ist. Ich zapfe ein Glas Wasser aus dem Spühlhahn und reiche es ihm. Er schaut dankbar. Aber um seiner eben manifestierten Männlichkeit für den Moment keinen Abbruch zu tun, wird er erst daraus trinken, wenn Herr Müller woanders hinsieht. Mir auch egal. Ich zapfe ein zweites Glas, sage, es sei für das Meerschwein, und verlasse die Küche wieder. Es ist, als wäre ich nie da gewesen. So gefällt mir das. Die Pärchen haben sich gefunden, und Herr Jauch gehört mir.
Leider will Herr Jauch beim Comiclesen nicht weiter gestört werden. Nebenbei ist er dabei, einen Plan zu entwerfen, wie er sein Zimmer einrichten möchte, sagt er. Ich bin überflüssig und tranformiere meine Lüge in Wahrheit, indem ich tatsächlich nach meinem Meerschwein auf dem Balkon schauen gehe.
Es geht ihm gut. Eigentlich weiß ich gar nicht genau, ob mein Meerschwein männlich ist, ich habe nie nachgesehen, aber für mich war er schon immer ein Er. Würde ihn sicherlich auch verwirren, wenn sich das nun plötzlich anders verhalten sollte, also bleibt es dabei. Ich akzeptiere jedes Geschlecht und jede Lebensform, aber so als Quasi-Mitbewohner, der Tür an Tür mit mir auf dem Balkon lebt, bevorzuge ich eben einen männlichen Kumpeltyp. Er allerdings kommt, wie er mir verdeutlicht, ohne meine Gesellschaft ebenso gut aus wie alle
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