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Die sanfte Hand des Todes

Die sanfte Hand des Todes

Titel: Die sanfte Hand des Todes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Abbie Taylor
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Jahren bei einer Rauferei verletzt hatte. Dawn ließ das Bündel los und trat einen Schritt zurück. Will machte sich daran, das Grab zuzuschaufeln. Wenige Minuten später war Milly nicht mehr zu sehen. Will ging methodisch vor und klopfte jede neue Schicht fest, damit alle Erde ins Loch passte. Wieder war Dawn beeindruckt von seiner Intelligenz, von seinem intuitiven Wissen, das zum Vorschein kam, sobald es gebraucht wurde. Er war sofort gekommen, hatte wenig gesprochen, aber genau gewusst, was man tun musste. Dawn hatte Milly unbedingt selbst in die Decke wickeln und ins Grab legen wollen. Will hätte womöglich die Blutflecken und das verfilzte Fell bemerkt und sich gefragt, was vorgefallen war.

    Und dann?
    Wenn sie sich ihm beim Abendessen in der Stadt offenbart hätte, dachte Dawn plötzlich, hätte er gewusst, was zu tun war. Vielleicht wäre es nie so weit gekommen, wenn sie sich ihm von Anfang an anvertraut hätte. Aber sie hatte beschlossen zu schweigen, und nun ließ sich daran nichts mehr ändern. Immerhin würde sie ihm in Zukunft nichts mehr beichten müssen, und er würde nie erfahren, was für ein Mensch sie in Wahrheit war. Als er die letzte Schaufel Erde festgeklopft hatte, atmete Dawn tief durch und spürte, wie die Anspannung von ihr abfiel.
    Der Erdhaufen wirkte höher und dunkler als der Boden ringsum. Der Schatten des Weißdorns fiel auf die Erde und den Rasen. Schon fügte das kleine Grab sich in die Umgebung ein. Milly war jetzt eins mit dem Garten, so als wäre es nie anders gewesen. Plötzlich und ohne nachzudenken, sagte Dawn: »Ich fühle mich so schuldig.«
    »Es war nicht deine Schuld«, sagte Will. »Sie war alt, das hast du selbst gesagt.«
    »Ja.« Dawn biss sich auf die Zunge. »Ja, das stimmt.«
    »Sei nicht so streng mit dir.« Will stieß mit der Schuhspitze gegen den Spaten, um die Erde abzuklopfen. »Du kannst nicht jeden retten.«
    Der traurige, kleine Erdhaufen unter dem Baum. »Ich habe nicht das Gefühl, überhaupt irgendjemanden gerettet zu haben.«
    »Sag so was nicht. Du bist ein wertvoller Mensch. Denk an den kleinen Jungen im Café!«
    Auf einmal klang Will aufgeregt; er schlug den Spaten auf den Boden und warf ihr immer wieder verstohlene Blicke zu. Dawn ahnte, dass jetzt etwas Wichtiges folgen würde.
    »Ich gehe zurück«, sagte er. »Nächste Woche. Nach Keswick. Ich werde für eine ganze Weile zwischen Keswick und
London pendeln müssen, bis ich alle Aufträge erledigt habe, aber alles in allem … bin ich weg.«
    Dawn hatte damit gerechnet, erschrak aber dennoch.
    »Na ja.« Sie versuchte zu lächeln. »Es war schön, dich kennengelernt zu haben. Wenn auch nur für kurze Zeit.«
    »Wir können uns hoffentlich auch weiterhin sehen. Du wirst mich doch besuchen kommen?«
    »Natürlich.«
    »Da oben gibt es viele Krankenhäuser, weißt du.« Will konzentrierte sich wieder ganz auf den Spaten, kratzte an einem besonders hartnäckigen Erdklumpen herum. »Ich habe mal recherchiert. Krankenschwestern werden überall gebraucht. Ich weiß, es käme nie im Leben infrage, nicht für eine so beliebte Oberschwester wie dich … aber trotzdem …«
    »Doch«, sagte Dawn, »ich könnte es mir vorstellen.«
    »Wirklich?« Will starrte sie an. Er strahlte. Seine Wangen waren gerötet, so als hätte er nie etwas Schöneres gehört. »Im Ernst?«
    »Ja, wirklich.«
    Und es stimmte tatsächlich, auch wenn Dawn selbst überrascht war. Sie wäre niemals darauf gekommen, aber nun, da Will den Vorschlag gemacht hatte, kam er ihr nur richtig und logisch vor. Ihre Zukunft am St. Iberius war vergiftet. Dort zu arbeiten, würde nie wieder dasselbe sein. Und was hielt sie noch in London? Cumbria mochte nicht unbedingt die Antwort auf alle Fragen sein, aber auf einmal hatte sie eine Vision von sich und Will, wie sie in Buttermere am See spazieren gingen, einen steilen Waldweg erklommen.
    »Ich werde mich umhören«, sagte sie. »Ich weiß ja nicht, ob irgendwo eine passende Stelle frei ist, aber einen Versuch wäre es wert.«
    Wills Gesichtsausdruck verriet ihr seine Gefühle. Und beinahe konnte sie es selbst spüren. Oben an den Seen würde
alles neu, frisch und unverbraucht sein. Sie würde ein anderer Mensch sein und nach einer Weile womöglich sogar die Person, für die Will sie hielt. Wenn alles gut ging, könnte sie vielleicht von vorn anfangen.
     
    Will verabschiedete sich früh am nächsten Morgen. Er musste zu einem Kunden in die Stadt.
    »Wir sehen uns heute Abend.« Er lächelte

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