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Die sanfte Hand des Todes

Die sanfte Hand des Todes

Titel: Die sanfte Hand des Todes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Abbie Taylor
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sie es betrachten.
    Nun erscholl der Gesang der Erwachsenen. Die tiefen Männerstimmen mischten sich mit denen der Frauen. Dann verhallte die Musik plötzlich und unerwartet. Stille zunächst, dann Hüsteln und Schritte, während die Gemeinde sich wieder verlief und die ersten Besucher im Kirchenschiff
auftauchten. Auch Dawn war aufgestanden. Die Kirchgänger schoben sich durch die Seitengänge und sprachen im Flüsterton. Wie fröhlich und unbeschwert sie alle wirkten. Vermutlich dachten sie bereits an die nächste Touristenattraktion oder einen Restaurantbesuch. Sie lachten, liefen untergehakt in kleinen Grüppchen. Dawn sah sich immer wieder gezwungen auszuweichen und Platz zu machen. Sie drückte sich an der Wand entlang. Kaum einer schien Notiz von ihr zu nehmen. Falls doch einmal jemand in ihre Richtung sah, schaute er durch sie hindurch, um dann direkt hinter ihr eine Tafel oder eine Schnitzerei zu kommentieren. Gerade so, als wäre sie nichts weiter als ein dunkler Schatten auf dem Stein.
     
    Am selben Abend rief Will an.
    »Ich wollte dir Zeit lassen, um dich zu erholen«, erklärte er. »Wie war die Nachtschicht?«
    Dawn hatte mit sich selbst gerungen und war erst nach dem siebten Klingeln ans Telefon gegangen. Aber sie brauchte dringend jemanden zum Reden. Jemanden, der sie auffing und sie auf den Boden der Tatsachen zurückholte. Wenn sie jetzt den Hörer nicht abnahm, würde es unter Umständen Tage dauern, bis sie die Gelegenheit bekam, mit einem Menschen zu reden. In der Hoffnung, Will möge anrufen, hatte sie sich mehrere Antworten zurechtgelegt und einen möglichst normalen Tonfall einstudiert. Auf keinen Fall wollte sie gequält klingen und ihn zu der Frage verleiten, ob etwas nicht stimme.
    »Die Nachtschichten waren okay«, gab sie zur Antwort. »Aber …« Auch den nächsten Satz hatte sie eingeübt, aber dann musste sie sich im letzten Augenblick doch in den Nasenrücken kneifen. »Milly ist gestorben.«
    »Wie bitte? Sie ist gestorben ?«

    »Ja. Ich habe sie gestern früh gefunden, als ich von der Arbeit nach Hause kam.«
    »Oh, Dawn, das tut mir so leid!«
    Sie kniff sich wieder in den Nasenrücken.
    »War es ein Unfall?«, fragte Will. »War sie krank?«
    »Ich glaube schon. Ich vermute, sie hatte einen Herzinfarkt.«
    »Das tut mir sehr leid.«
    »Na ja, sie war alt, mindestens dreizehn.«
    Will schwieg, aber sie konnte ihn geradezu vor sich sehen, wie er sich die Brille in die Stirn schob und konsterniert den Kopf schüttelte. Sie spürte eine Verbundenheit, seine Präsenz, hier in diesem Flur.
    »Sie ist immer noch da«, sagte sie, »sie liegt in ihrem Korb in der Küche. Ich … ich wusste nicht, wohin mit ihr.«
    »Soll ich rüberkommen?«
    »Ja. Ja, sehr gern.«
    In weniger als einer halben Stunde war er da. Sie hörte, wie er die Handbremse anzog, nachdem er seinen roten Honda vor dem Haus geparkt hatte. Er hatte einen Spaten dabei.
    »Am besten«, sagte er, »beerdigen wir sie hier im Garten. Wenn du möchtest.«
    »Ist das erlaubt?«
    »Na ja, wenn man den Platz hat …«
    Dawn suchte eine schöne Stelle im Garten hinter dem Haus aus, direkt an der Gartenmauer, unter einem Weißdorn mit kleinen Sternchenblüten.
    »Ist hier denn genug Platz?«, fragte sie. »Ich weiß ja nicht … wie tief es sein muss.«
    Will erwiderte nüchtern: »Etwa anderthalb Meter tief, würde ich sagen. Das müsste reichen für einen Hund ihrer Größe. Du willst ja nicht, dass die Füchse sie ausgraben.«

    Das klang schroff, beinahe gefühllos, aber Dawn nahm es ihm nicht übel. Er hatte nicht um den heißen Brei herumreden, sondern ihr einfach nur seine Einschätzung mitteilen wollen. Er machte sich daran, unter dem Baum ein Loch zu graben und die ausgehobene Erde daneben aufzuhäufen. Der Nachmittagsregen hatte das Erdreich aufgelockert. Als das Loch tief genug war, lief Dawn in die Küche, um Milly zu holen.
    Will rief ihr nach: »Wenn du willst, mache ich das.«
    »Nein, das geht schon.«
    Bevor Dawn Milly endgültig in die Hundedecke einwickelte, nahm sie ihr das verblichene rote Lederhalsband ab und legte es auf den Küchentisch. Anschließend nahm sie Milly auf die Arme und trug sie in den Garten hinaus. Das Tier war schwer, aber gut zu halten. Es fühlte sich an wie ein kleines Kind.
    »Ist schon okay«, sagte Dawn, als Will die Arme ausstreckte. »Ich habe sie.«
    Sie legte Milly ins Grab. Oben aus der Decke lugte ein schwarzes Hundeohr heraus, das schiefe Schlappohr, das Milly sich vor

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