Die sanfte Hand des Todes
so wie alles, was sie in letzter Zeit unternommen hatte. Aber die Erkenntnis ließ sich einfach nicht verdrängen. Mr. Farnley ist in Gefahr. Du musst ihn warnen.
Sie spürte es als schmerzhaften Druck auf den Ohren. Dawn schüttelte sich. Also gut! Sie würde ihn warnen. Sie würde ins Krankenhaus gehen, ihn suchen und mit ihm sprechen. »Jemand will Sie umbringen. Dieser Jemand ist gefährlich. Er hat meinen Hund erstochen.« Sie würde auf ihn einreden, bis er sie ernst nahm, und sagen: »Sie dürfen hier nicht allein bleiben. Ein Freund soll herkommen, ein Verwandter. Oder die Polizei.« Und erst wenn sie sich davon überzeugt hatte, dass ihm nichts passieren konnte, würde sie gehen.
Und dann … was dann? Was käme danach?
Um drei Uhr betrat Dawn die Eingangshalle des Krankenhauses. Sie wurde von mehreren Patienten und Mitarbeitern begrüßt, als sie die Glastür aufstieß, aber sie nahm kaum Notiz von ihnen und lief mit starrem Blick weiter.
Im zweiten Stock, hatte in der Mail gestanden.
Als Dawn den Aufzug verließ, standen zwei Arbeiter mit einer Leiter im Flur. Während einer sie festhielt, kletterte der zweite bis zur obersten Sprosse hinauf, um die Wand direkt unter der Decke abzuklopfen. Jim Evans stand daneben und schaute zu.
»Guten Tag, Oberschwester«, sagte er. »Es wird Sie sicher freuen zu hören, dass wir endlich unsere Kameras installieren dürfen. Den nächsten Diebstahl können wir filmen. Vielleicht kriegen wir sogar den Kerl zu fassen, der damals Ihren Spind aufgebrochen hat.«
Jims Stimme wurde laut und dann wieder leise, so als spielte jemand am Lautstärkeregler eines Radios herum. Er stand vor den weißen Flügeltüren, über denen in blauen Lettern »Station II« prangte.
»Ich fand Ihren Fall besonders ungewöhnlich«, sagte Jim mit seiner Radiostimme, »weil der Einbrecher Ihre Sachen im Umkleideraum verteilt und beschädigt hat. Normalerweise
stecken die nur die Wertsachen ein und verschwinden. Nur bei Ihnen haben sie sich so viel Mühe gegeben. So als wäre es was Persönliches. Aber keine Sorge, Schwester, wir werden den Täter finden.«
Als wäre es etwas Persönliches …
Natürlich. Natürlich war es das gewesen. Auf dem Spind stand ihr Name. Der Einbruch, der zerschnittene Mantel – das alles hatte sich nach dem Streit mit Clive ereignet. Als sie ihn vor den Mitarbeitern getadelt hatte, weil er so grob zu Mrs. Walker gewesen war.
Einen kleinen Vorgeschmack haben Sie schon gekriegt.
Es war so offensichtlich! Im Nachhinein, wenn man die Fakten kannte. Aber dafür hatte sie nun keine Zeit mehr. Sie stand hier im Flur herum, während hinter der blau-weißen Tür ein Mann in Lebensgefahr schwebte. Er brauchte sie.
»Danke, Jim«, sagte sie.
Sie stieß die Türen auf und verschwand auf der Station.
Die orthopädische Station lag im Hauptgebäude und war viel moderner als Dawns Station. Alles hier sah freundlicher, heller und sauberer aus. Jedes Zimmer bot Platz für maximal vier Betten und verfügte über ein eigenes Bad und WC.
»Hallo, Dawn!« Daphne kam gerade aus einem der Zimmer. Sie hielt ein Tablett mit Infusionsbesteck in beiden Händen. »Sind Sie auf Inspektion?«
»Eigentlich bin ich gekommen, um einen Patienten zu besuchen. Einen Mr. Farnley.«
»Farnley, Farnley …« Daphne stellte das Tablett ab, zog einen Zettel aus der Tasche und faltete ihn auf. »Ja, da ist er. Gordon Farnley, wurde heute aufgenommen. Er bekommt am Nachmittag eine künstliche Hüfte. Ist das der Patient, den Sie suchen?«
»Das wird er wohl sein.«
Daphne lächelte und legte den Kopf schief. Es war sehr ungewöhnlich für eine Oberschwester, Patienten auf anderen Stationen zu besuchen. Dawns Position erlaubte es ihr natürlich, sich in der gesamten Klinik frei zu bewegen, und niemals wäre es Daphne in den Sinn gekommen, neugierige Fragen zu stellen. Aber ein bisschen verwundert wirkte sie dennoch.
»Die Patientenaufnahme hat angerufen«, erklärte Dawn, als Daphne ihr weiterhin den Weg versperrte. »Eventuell wird Mr. Farnley nach der OP auf meine Station verlegt. Ich dachte, ich schaue schnell vorbei und informiere mich über seinen Zustand.«
Die Ausrede war mehr als fadenscheinig, aber Daphne nahm sie widerspruchslos hin. »Das ist aber sehr nett von Ihnen«, sagte sie. »Möchten Sie seine Akte sehen?«
»Bitte.«
Dawn folgte Daphne zum Wagen mit den Patientenblättern. »Der arme Kerl«, sagte Daphne und wühlte in den Unterlagen, »wenn Sie mich fragen,
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