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Die sanfte Hand des Todes

Die sanfte Hand des Todes

Titel: Die sanfte Hand des Todes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Abbie Taylor
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Schmerzmanagement wäre sie möglicherweise sogar fit genug für eine OP gewesen. Dann hätten wir versuchen können, den Tumor zu entfernen.« Er starrte sie aus wässrig blauen Augen an. »Schwester, ist alles in Ordnung mit Ihnen?«
    »Verzeihung.« Dawn stellte ihr Tablett auf einem Wagen ab und lief zum Ausgang.
    Die Damentoilette war nur wenige Schritte entfernt. Dawn stieß die Tür auf. Der Raum mit einer Reihe von Waschbecken zur Rechten und den Toilettenkabinen zur Linken war grell ausgeleuchtet, roch nach Desinfektionsmittel und war Gott sei Dank menschenleer. Dawn stützte sich am nächsten Waschbecken ab. Mit dem richtigen Schmerzmanagement. Man hätte sie heilen können! Sie hatte alles falsch gemacht. Nein! Nein, hatte sie nicht. Ed Coulton war derjenige, der hier irrte. Professor Kneebone war der erfahrenere Mediziner. Wenn er eine OP für ausgeschlossen erklärte, war sie ausgeschlossen.
    Da fiel es ihr wie Schuppen von den Augen. Dr. Coulton und seine Diagnose waren hier nicht das Problem. Das Problem war, dass eine alte, kranke, schutzlose Frau sich an sie, die Oberschwester, gewandt hatte, weil sie Hilfe und Schutz benötigte. Und was hatte Dawn getan? Sie hatte sich ans Bett der Patientin geschlichen und ihr eine Giftspritze verpasst. Die Waschbeckenkante fühlte sich glitschig an. Keinen Schaden zufügen. Was sie getan hatte, verstieß gegen sämtliche Regeln, die sie gelernt, gelehrt, immer praktiziert hatte.
    Es war Mord.
    Der Boden unter ihren Füßen schien zu beben.
    Sie hatte einen Menschen ermordet. So sah es aus. Egal, womit sie sich zu verteidigen versuchte, so und nicht anders würden die anderen es sehen. Was in Gottes Namen hatte
sie getan? Welcher Teufel hatte sie geritten? Was hatte sie sich nur dabei gedacht?
    Die Tür zum Waschraum flog auf. Benommen beugte Dawn sich zum Wasserhahn hinunter. Zwei Frauen mittleren Alters, in Regenmänteln und mit Regenschirmen bewaffnet, kamen plaudernd herein. »Und da hat er zu ihr gesagt, sie soll die Beine hochlegen, und da hat sie gesagt: ›Schätzchen, versuch das mal, wenn du drei Kinder hast.‹«
    Die Frauen stellten sich vor den Spiegel, glätteten sich das Haar und tupften sich die Regentropfen aus dem Gesicht. Dawn hielt den Kopf gesenkt und spritzte sich Wasser ins Gesicht. Sie spürte nicht, ob es warm oder kalt war.
    »Denise, habe ich gesagt«, rief die eine Frau über den Lärm des Händetrockners hinweg, »ich an deiner Stelle hätte schon lange die Nase voll.«
    Die Frau neben Dawn musterte sie neugierig. Dawn merkte, dass sie sich schon eine ganze Weile die Hände wusch. Über dem Waschbecken klebte eine getrocknete Seifenschliere an der Wand. Dawn zog ein Papiertuch aus dem Halter und machte sich daran, den Fleck zu entfernen.
    Die Frauen nickten einander zu.
    »Vorbildlich«, sagte die eine. »So muss es sein. So sind sie, die Oberschwestern.«
    Sie verließen die Damentoilette. Die Tür fiel ins Schloss, Schritte und Stimmen verhallten. Dawn drehte den Wasserhahn zu und warf das Papiertuch in den Mülleimer. Sie stützte sich am Waschbecken ab und starrte in den Spiegel. Ihr Gesicht war hager und schmal, das blonde Haar passte nicht so recht zur dunkelblauen Uniform. Und mit den dunklen Augenringen sah sie aus wie zweiundsiebzig, nicht wie fünfunddreißig, und dennoch normal genug, um auf die Station zurückzukehren. Sie musste sich zusammenreißen und weiterarbeiten.

    Doch als sie die Tür zum Einzelzimmer erblickte, wusste sie, dass sie dessen Anblick nicht den restlichen Nachmittag über würde ertragen können. Das Bett war bis auf die wasserdichte Matratzenauflage abgezogen, und die nackte, desinfizierte Oberfläche erinnerte Dawn auf das Schmerzlichste daran, dass hier jemand gestorben war. Die Kabel des EKGs baumelten vom Monitor wie abgestorbene Efeuranken.
    In der Teeküche begegnete Dawn Mandy.
    »Ist es immer noch so ruhig?«
    »So ruhig wie seit Langem nicht«, antwortete Mandy fröhlich und klopfte auf die Holzlehne ihres Stuhls. »Keine Notfälle heute.«
    »Wenn es so ist«, sagte Dawn, »würde ich heute gern früher Schluss machen.«
    »Oh.« Mandy schaute sie erstaunt an. Dawn machte nie früher Schluss. »Haben Sie was Schönes vor?«
    »Nein. Ich habe Kopfschmerzen.«
    »Sie Ärmste! Sie sehen wirklich nicht gut aus. Haben Sie es schon mit Paracetamol versucht?«
    »Ich werde gleich eine Tablette nehmen«, sagte Dawn, »und mir ein bisschen Papierkram einpacken. Falls etwas ist, können Sie mich

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